Sollten Menschen mit geistiger Behinderung den selben Anspruchauf Sexualität und Nachwuchs haben?
Gedankenimpuls
Auch wenn nicht immer offen darüber gesprochen wird, ist das Thema Sexualität für die meisten Menschen ab der Pubertät sehr wichtig. Grundsätzlich ist es jedem überlassen, seine Sexualität den eigenen Bedürfnissen entsprechend auszuleben, außer wenn jemand anderes dadurch zu Schaden kommt. In Bezug auf Menschen mit Behinderung, körperlich sowie geistig, gibt es jedoch noch viele Tabus, die unter Anderem dazu führen, dass man sich selten mit der Frage auseinandersetzt, wie man mit der Sexualität von Menschen mit Behinderung umgeht.
Hier sind einige, die bei der Arbeit mit Menschen mit geistiger Behinderung womöglich aufkommen:
Sollten Menschen mit geistiger Behinderung der Zugriff ins Internet verweht bleiben z.B. um sie vor Übergriffen von Fremden zu schützen? Wenn ja, bezieht sich das nur auf soziale Netzwerke, explizit Dating-Seiten oder allgemein? Sollte Menschen mit geistiger Behinderung der Zugang zu sexuellen oder pornographischen Inhalten auf Webseiten, im Fernsehen etc. verweigert werden? Welchen Einfluss könnten sie haben? Wie geht man mit zwei Menschen mit geistiger Behinderung um, wenn sie sich ineinander verlieben oder sexuellen Kontakt erwünschen? Sollte man ihn gewähren? Dürfen solche Paare zusammen wohnen? Sollte man sie zum Verhüten auffordern, und bei Bedarf auch selbst „nachhelfen“ z.B. durch die Verschreibung der Pille oder der Drei-Monats-Spritze? Wie geht man mit einem Menschen mit geistiger Behinderung um, wenn er sexuelle Begegnungen außerhalb einer festen Partnerschaft sucht? Sollte man ihn sterilisieren oder Verhütungsmittel verabreichen? Sollte man ihnen zur Enthaltsamkeit raten oder seine Bedürfnisse ignorieren? Sollte man erwachsene Menschen mit geistiger Behinderung ohne festen Partner zur Selbstbefriedigung anleiten oder ihnen dabei helfen? Sollte die Krankenkasse sexuelle Dienstleistungen für Menschen mit Behinderung übernehmen? Ist „Prostitution“ in solchen Fällen ethisch vertretbar? Wie sollte man mit dem Kinderwunsch von Menschen mit Behinderung umgehen? Können Menschen mit geistiger Behinderung überhaupt sinnvoll für ihre Kinder sorgen?
Hintergrundinformationen
Menschen mit sogenannter „geistiger Behinderung“ haben keine besondere Sexualität. Meistens haben sie die selben Wünsche und Bedürfnisse wie ihre Altersgenossen in Bezug auf Beziehungen. Sie wollen in der Regel Freundschaft, Liebe, Partnerschaft, Zärtlichkeit, Geborgenheit und Leidenschaft. Da ihre Behinderungen sehr vielfältig sein können, unterscheidet sich entsprechend auch deren Auswirkung auf ihr Beziehungsleben. Die Unterstützung von Menschen mit Behinderung im Bereich der Sexualität muss der Einzigartigkeit des jeweiligen Menschen gerecht werden und sich daher an seinen individuellen Fähigkeiten, Eigenschaften, Bedürfnissen und Möglichkeiten orientieren.
In der Beratung von Betroffenen und Angehörigen ist ausgebildetes sexualpädagogisches Personal tätig. In Europa gibt es unterschiedliche Möglichkeiten, Beratung auf dem Gebiet in Anspruch zu nehmen:
> Profamilia wendet sich an die Betroffenen selbst, ihre Angehörige und an das Personal der Behindertenhilfe. Es gibt in Deutschland insgesamt 180 Beratungsstellen. Außerdem wird von ihnen auch Anleitung und Begleitung von Menschen mit Behinderung gewährleistet.
> ISBB (Institut zur Selbst-Bestimmung Behinderter) ist ein Beratungsinstitut mit dem Schwerpunkt Sexualberatung, deren Ziel die Selbstverantwortung und Kompetenz von Menschen mit Behinderung ist. Ihre Beratung richtet sich ebenso an Betroffene, Angehörige oder Einrichtungspersonal. Ebenfalls wird hier eine Ausbildung zur Sexualbegleitung* angeboten.
> Eine Berliner Initiative Sexabilities bietet Beratung nach dem Prinzip von Peer Counseling an, das bedeutet, dass Betroffene andere Betroffene beraten. Außerdem organisiert sie Themenabende und Gesprächsgruppen. Sie vermittelt Kontakt zu SexarbeiterInnen*, lehnen aber das Prinzip von besonders ausgebildeten Begleitung ab, da es nicht inklusiv gedacht ist.
Bei Menschen mit geistiger Behinderung ist oft die körperliche Entwicklung die selbe wie bei Gleichaltrigen, während die seelisch-geistige Entwicklung retardiert ist. Dementsprechend haben Menschen mit geistiger Behinderung sexuelle Verlangen und sind auch meistens dazu in der Lage, ihre Wünsche zu äußern und zu gestalten. Darin liegt die Chance, ein neues Verhältnis zu anderen Menschen entstehen zu lassen, eins, das von Zuneigung oder auch Liebe charakterisiert ist. Menschen mit geistiger Behinderung müssen auch aufgeklärt werden, wenn in der Pubertät das Thema Sexualität für sie relevant wird. Sie sollten sich der kommenden Veränderungen an ihrem Körper schon im Vorhinein bewusst sein. Ein weiteres wichtiges Thema dabei ist zunächst einmal Selbstbefriedigung: Den angemessenen Umgang mit der eigenen Sexualität, ein angemessenes Verhalten in der Öffentlichkeit muss vermittelt werden, wenn das Gespür dafür fehlt.
Ebenfalls wird ab einem bestimmten Alter der Wunsch nach Geschlechtsverkehr und häufig damit verbunden das Bedürfnis nach einer festen Partnerschaft bedeutsam, wobei die sexuelle Orientierung (Heterosexualität oder Homosexualität) ebenso häufig vorkommen wie in der Gesamtbevölkerung. In dem Fall von sexuellem Verkehr mit dem anderen Geschlecht, sollten Möglichkeiten zur Schwangerschaftsverhütung angesprochen werden.
Menschen mit Behinderung greifen ebenso wie andere Menschen auf die Angebote von SexarbeiterInnen zurück. Sexuelle Dienstleistungen werden auch als „Prostitution“ bezeichnet. Als eine Alternative dazu hat sich in den vergangenen Jahren in Deutschland die Sexualbegleitung etabliert. Solche Begleiter haben eine besondere Ausbildung, wodurch ein würdevoller Umgang sowie ein Ausgleich zwischen professioneller Distanz und emotionaler Achtung gewährleistet wird. Ebenfalls haben sich einige Partnervermittlungen und Single-Börsen für Menschen mit Behinderung gegründet.
Artikel 23 der UN-Behindertenrechtskonvention widmet sich der Gleichberechtigung von Menschen mit Behinderung „in allen Fragen der Ehe, Familie, Elternschaft und Partnerschaft“. Darin wird sowohl ihr Recht auf Eheschließung und Familiengründung anerkannt als auch „auf freie und verantwortungsbewusste Entscheidung über die Anzahl ihrer Kinder und die Geburtenabstände“. Menschen mit Behinderung, besonders mit geistiger Behinderung, brauchen jedoch besondere Unterstützung bei der Familienplanung sowie als Eltern. Die Bundesarbeitsgemeinschaft Begleitete Elternschaft bietet in Deutschland solche Unterstützungsangebote.
Fragen, über die man nachdenken und diskutieren kann:
Kannst du dir vorstellen, in der Sexualbegleitung zu arbeiten?
Sollten Menschen mit geistiger Behinderung Dating-Seiten bzw. Apps nutzen?
Sollte es besondere Dating-Seiten für Menschen mit Behinderung geben?
Müssen Paare mit geistiger Behinderung besonders betreut werden?
Sind Soziale Netzwerke für Menschen mit geistiger Behinderung gefährlich?
Wie reagierst du, wenn ein Mensch mit geistiger Behinderung dich plötzlich umarmt?
Unterstützt du den Kinderwunsch von Menschen mit geistiger Behinderung?
Kannst du dir persönlich einen Sexualpartner mit Behinderung vorstellen?
Würdest du ein Kind wegen Behinderung abtreiben?
Sollte der Staat Sexualbegleiter ausbilden?
Sollten Paare mit geistiger Behinderung zusammen wohnen?
Bist du offen in Bezug auf das Thema Sexualität?
Können sich Menschen mit geistiger Behinderung um Nachwuchs angemessen kümmern?
Sollten Menschen mit geistiger Behinderung sexuelle Begegnungen außerhalb einer festen Partnerschaft gewährt werden?
Sollte man sexuell ausschweifende Menschen mit geistiger Behinderung medikamentös sterilisieren?
Sollte man Erwachsene mit geistiger Behinderung bei der Selbstbefriedigung unterstützen?
Hältst du sexuelle Dienstleistungen für Menschen mit Assistenzbedarf für ethisch vertretbar?
Sollte die Krankenkasse sexuelle Dienstleistungen für Menschen mit Behinderung übernehmen?
Würdest du als Elternteil für dein behindertes Kind sexuelle Dienstleistungen in Anspruch zu nehmen?
Kannst du dir grundsätzlich sexuellen Kontakt mit Menschen mit Körperbehinderung vorstellen?
Wie können geistig behinderte Paare ihre Sexualität ausleben?
Bist du mit deinem Körper zufrieden?
Sollten Paare mit geistiger Behinderung verhüten?
Hat Pornographie einen Einfluss auf die eigenen Bedürfnisse?
Gehören Sexualität und Partnerschaft zusammen?
Gibt es Unterschiede zwischen Prostitution & Sexualbegleitung?
Ist Prostitution für Behinderte ethisch vertretbar?
Sollte der Staat Sexualbegleitung finanzieren?
Wie reagierst du, wenn ein Mensch mit geistiger Behinderung sexuelles Interesse an dir zeigt?
Was würdest du tun, wenn ein Mensch mit geistiger Behinderung sich in dich verliebt?
Wie reagierst du, wenn ein Mensch mit geistiger Behinderung deinen Grenzen verletzt?
Soll man Menschen mit geistiger Behinderung bei der Verhütung unterstützen?
Was tust du, wenn jemand mit geistiger Behinderung beginnt, sich vor dir selbst zu befriedigen?
Sind Single-Börsen für Menschen mit geistiger Behinderung sinnvoll?
Sollte man Menschen mit erblicher geistiger Behinderung zur Verhütung zwingen?
Haben Menschen mit geistiger Behinderung ein Recht, Sexualität auszuleben?
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