Günter Brakelmann (geb. 1931 Bochum), damals Landesmarkführer der Landesmark Westfalen in der CPD, war ab 1960 federführendes Mitglied in der Kommission zur Neufassung der Grundsätze.  Auf dem Bundesthing 1962 stellte er die Kommissionsergebnisse vor und verfasste einen Kommentar zu den neuen Grundsätzen. Darin wird deutlich, welche Bedeutung den Grundlagentexten der CPD zukommt und was einzelne Punkte davon bedeuten. Hier eine inhaltliche Zusammenstellung:

Sinn und Funktion der Grundsätze 

Sie sollen zum sprachlich-systematischen Ausdruck bringen, auf welchem Grund wir stehen, wo wir in unserem Denken und Handeln gegründet sind. Also: die grund-sätzliche Absicht soll zur Sprache gebracht werden.

Eigenschaften der Grundsätze

Grundsätze haben einen Doppelcharakter:

  1. Sie geben wieder, was schon ist, was die Grundlagen unseres Denkens und Handelns in der Vergangenheit gewesen sind. Insofern bringen sie schon Gegebenes, schon Praktiziertes, schon Gelebtes zum Ausdruck. Hier kommt die Tradition, die Herkunft zur Sprache. – Echte Grundsätze stehen immer in einer geschichtlichen Tradition. Sie sind nicht Ausgeburt, Produkt einer in der Abstraktion entworfenen Idealität jenseits von Lebensbewährung, d. h. von Sieg und Niederlage.
  2. Sind die Grundsätze einerseits gegründet in der geschichtlichen Tradition und legen sie geschichtliche Kontinuität dar, so sind sie ohne Zweifel auch gleichzeitig Darstellung dessen, was sein soll. Sie müssen gleichzeitig Ansprüche, Anforderungen, Zielsetzungen zum Ausdruck bringen.
    – Wirkliche Grundsätze überschreiten also gleichzeitig die Tradition, die Kontinuität und sprechen den Raum des Neuen, des Zukünftigen an.

Grundsätze beinhalten zugleich Tradition und Moderne, von Herkunft und Zukunft. Das „gleichzeitig“ dieses Doppelcharakters macht ihre Dynamik aus. In der lebensmäßigen Durchdringung von Haben und Sollen liegt die Spannung.

Notwendigkeit zur Interpretation 

Grundsätze können nicht alles sagen. Sie sind nicht zu verwechseln mit einem ausgeführten Programm. Sie sind Verdichtung, Konzentration auf das, was uns heute als das Wesentliche, das Zentrale erscheint.

– Die Kunst ist die, in wenigen Sätzen doch alles auszusprechen und unterzubringen. Grundsätze sind so angelegt, daß sie ausgelegt, interpretiert werden müssen.

Kein dogmatischer Charakter 

Grundsätze sind nicht zu verwechseln mit Dogmen, die den Anspruch erheben, für alle Zeiten gültig formuliert zu sein. Deshalb müssen wir den Mut haben, Zeitbedingtes zu sagen, selbst wenn wir wissen oder vermuten, daß die Entwicklung in einem Jahrzehnt schon wieder darüber hinweggegangen ist.

Versöhnte Verschiedenheit: Meinungsspektrum im Bund

Die Stärke der CP war immer die Vielfalt in Spannung und nicht die eine festgelegte Meinung. Bei den Grundsätzen kann es sich folglich immer nur um einen in Diskussion und Gespräch errungenen Kompromiß handeln. Es geht nicht an, daß sie nur eine Art von Selbstdarstellung bestimmter Typen und Gruppen der CP sind, sondern ein möglichst gutes Mittel der Gesamtgeistigkeit darstellen. Die Freiheit einer bestimmten nuancierten Interpretation ist jedem ja immer gegeben. Es geht also nicht darum, daß irgendwer oder irgendwelche recht haben mit ihrer Theologie und Soziologie, sondern darum, dem Ausdruck zu geben, was uns bei aller persönlichen und sachlichen Verschiedenheit bündigt.

Die Ausführungen geben uns Hinweise auf das Verständnis der Grundsätze unseres Bundes. Für unsere eigene Beschäftigung mit den Grundsätzen ist wichtig zu daran zu erinnern, dass…

  • es viele unterschiedliche, gleichwertige Interpretationsmöglichkeiten gibt, über die wir in einen respektvollen Austausch kommen sollen, in dem wir alle lernen und wachsen können
  • die vorhandenen Grundsätze immer ein Kind ihrer Zeit sind und somit nicht unveränderbar oder in jeglicher Hinsicht vollkommen

Daher ist es immer wieder notwendig, sich reflektiert und kritisch mit unseren Grundsätzen auseinander zu setzen, um sie uns anzueignen und sie zu leben. Das selbe gilt auch für das Späherziel, das letztlich nichts anderes ist als eine altersgerechte Auslegung der Grundsätze.

Quelle: Zum Verständnis der neuen Grundsätze, in: Führerblätter, 1962-3, Seite 19ff.
Es handelt sich dabei um eine überarbeitete Fassung des Manuskriptes zum Referat auf dem Bundesthing 1962.