Vorurteile gegenüber Pfadfindern in Deutschland und Frankreich

Meine persönlichen Erfahrungen mit der Pfadfinderbewegung sind fast durchweg positiv: Als Kind habe ich spielerisch die Natur kennengelernt. Dadurch habe ich eine Ehrfurcht vor der Schönheit der Natur entwickelt und verstanden, dass ich in der Beziehung zur Schöpfung auch ihrem Schöpfer nahe sein kann. Ich habe ebenfalls gelernt respektvoll mit anderen Menschen umzugehen, sie unabhängig von ihrer Religions-zugehörigkeit, ihrem sozialen Umfeld oder persönlicher Meinung zu schätzen. Ich habe gelernt, dass ich mich solidarisch verhalten und Kompromisse eingehen muss und was eine „Gemeinschaft“ ausmacht. Bei den Pfadfindern wurden meine körperlichen und geistigen Fähigkeiten gefördert, so dass ich heute Verantwortung für mich sowie meine Mitmenschen übernehmen kann.

Dennoch habe ich immer wieder die Erfahrung gemacht, dass sich man sich über die Pfadfinderei lustig macht und sich dabei immer wieder der selben beliebten Stereotypen bedient. „Ihh Pfadfinder“ – wer hat das noch nicht gehört und wer hat es nicht selbst schon aus Spaß zu einer anderen Pfadfinderbekanntschaft gesagt? Vorurteile bestehen gegenüber Pfadfindern im allgemeinen, innerhalb der Pfadfinder gegenüber bestimmten Gruppierungen und sind meistens in einen landesspezifischen historischen Kontext eingebettet. Als ich aus Kanada kam, durfte ich bestätigen, dass ich dort klischeehaft Kekse verkauft und Abzeichen gesammelt habe. In Deutschland bekomme ich immer wieder mit, wie andere Bünde in Schubladen mit bestimmten Eigenschaften oder Tätigkeiten gesteckt werden.

Ich denke, es ist wichtig, sich ernsthaft mit den Vorstellungen anderer sowie den eigenen Vorstellungen über andere zu beschäftigen, um der Pfadfinderbewegung sowie unseren Mitmenschen den Respekt zu vermitteln, der ihnen gebührt. In der Konfrontation mit klischeehaften, teilweise beleidigen Vorstellung darüber, was wir sind und tun, ist es manchmal sinnvoll Hintergründe erklären zu können, von daher, hier ein kleiner Versuch.

Woher kommen die Vorurteile?

Während meiner Schulzeit habe ich im Rahmen einer kleinen Forschungsarbeit recherchiert, wie sich die Vorurteile gegenüber Pfadfindern in Frankreich mit denen in Deutschland unterscheiden. Anhand meiner Ergebnisse will ich beispielhaft machen, woher die unterschiedlichen Vorurteile kommen und wieso sie gesellschaftlich verbreitet sind.

Woher kommen also Vorurteile? Mein Projekt damals hat deutlich offen gelegt, dass alle stereotypen Darstellungen von Pfadfindern, egal in welchem Land, aus Unwissenheit stammen. Meistens handelt es sich dabei um Halbwahrheiten, die unreflektiert und ohne den historischen Kontext wiedergegeben werden. Je mehr Berührungspunkte man durch Freunde oder Bekannte zu den Pfadfindern hat, desto schwächer bedient man sich der Klischees, um die Pfadfinder zu beschreiben.

Gängige Vorurteile im Allgemeinen

Das allgemeine Vorurteil, dass Pfadfinder (etwas zugespitzt) bescheuerte Kinder sind, die im Wald herumrennen, Bäume umarmen und Insekten essen, existiert in Frankreich genau wie in Deutschland. Anscheinend sind Pfadfinder ebenfalls gegen jede Form von Modernisierung und Fortschritt. Vorurteile, die ebenfalls nach wie vor überall bestehen, sind die nordamerikanischen Klischees, die durch die Medien propagiert werden: Der Film „Oben“ (2009) porträtiert etwa den Jungen Russell, der versucht ein Abzeichen zu bekommen, dafür dass er einem Senioren geholfen hat.

Katholische Sekten in Frankreich?

Davon abgesehen jedoch unterscheiden sich die Wahrnehmungen von Pfadfindern in Deutschland und Frankreich schwerpunktmäßig sehr stark. Dort hörte ich immer wieder, dass die Pfadfinderbewegung eine Sekte für reiche, traditionell christlich erzogene Kinder sei.

Was ist da dran?

Die Pfadfinderbewegung ist global vor allem eine von Politik und Religion zunächst unabhängige Erziehungsbewegung, die auf eine Entwicklung von körperlichen, geistigen, seelischen und sozialen Fähigkeiten abzielt und Werte wie Toleranz, Solidarität und Ehrfurcht vor dem Leben an Kinder vermittelt. Die Umsetzung dieser Wertevermittlung stützt sich auf praktische Aktivitäten, die üblicherweise in kleinen Gruppen in der Natur erfolgen. Ziel der Pfadfinderbewegung ist es, junge Menschen zu mündigen und verantwortungsvollen Gliedern der Gesellschaft zu machen.

Bei vielen Pfadfinderorganisationen in Deutschland oder Frankreich bildet der christliche Glaube bildet eine entscheidende Grundlage. In Frankreich arbeiten einige Pfadfinderverbände sehr eng mit den katholischen Kirchen zusammen, da Frankreich ein stark katholisch geprägtes Land ist. Das wirkt sich auf die Tagesstruktur, das Programm und die Gebete der Pfadfinder dort aus. Da es jedoch in Deutschland auch viele christliche Pfadfinderverbände gibt, stellt sich die Frage, warum die Religion so stark im Fokus der Betrachter steht.

Die Laizität, eine strikte weltanschauliche Neutralität des Staates, ist in der französischen Verfassung seit 1905 verankert – die Idee der Trennung zwischen Kirche und Staat existiert jedoch schon seit der französischen Revolution. Das „Ancien Régime“, die absolutistische Regierungsform der Bourbonen, wurde samt der Privilegien der Geistlichkeit abschafft und durch die allgemeinen Menschenrechte ersetzt. Ein vollkommen säkulares Schulsystem wurde eingeführt.

Der Laizismus wird in Frankreich nach wie vor sehr hochgehalten. Daher lässt sich eine allgemeine Skepsis gegenüber der religiösen Affiliation von Freizeitorganisation erklären, die weit über die eigene religiöse Zugehörigkeit (oder Nichtzugehörigkeit) hinausgeht. In Deutschland, wo in der Regel auch konfessioneller Religionsunterricht in der Schule gängig ist, besteht wenig Widerspruch gegen die allgemeine Vermittlung von religiösen Inhalten und Werten in Pfadfinderverbänden. Im sehr säkularen Frankreich wirken Pfadfinderaktivitäten, die in einem christlichen Rahmen stehen, womöglich auffällig religiös, auch wenn sie sich nicht groß von der deutschen konfessionellen Praxis unterscheiden.

Der Behauptung, dass die französischen Pfadfinder intolerant gegenüber anderen Religionen sind, muss ich jedoch aus mehreren Gründen widersprechen: Zunächst einmal ist es jedem selbst überlassen, welcher Freizeitorganisation er beitritt. Wenn man sich einer katholischen Pfadfindergruppe anschließt, sollte einem bewusst sein, dass religiöse Inhalte auftauchen werden. Allein dadurch, dass die religiöse Bildung und Praxis vorhanden ist, ist die Gruppierung nicht intolerant. Zweitens kann ich aus eigener Erfahrung sagen, dass sie offen gegenüber Interessierten sind, auch wenn diese nicht christlich oder (in meinem Fall) nicht katholisch sind. Aus eigener Erfahrung kann ich sagen, dass die Pfadfinder, die ich bisher kennengelernt habe, sehr interessiert an einem interreligiösen bzw. interkonfessionellen Austausch waren, von dem beide Seiten profitieren. Auf irgendeine Weise diskriminiert wurde ich definitiv nie. Zuletzt kann man nicht sagen, dass die französischen Pfadfinder gegenüber anderen Religion intolerant sind, weil es auch Pfadfinderverbände in Frankreich gibt, die sich entweder keiner Religion oder einer anderen Religion z.B. dem Islam verschreiben.

Nationalsozialistischer Paramilitarismus?

Bei meiner Umfrage damals hat (zum Glück!) nur eine Person gesagt, dass sie gehört hätte, dass es sich bei den Pfadfindern um eine paramilitärische Organisation handelt, die Kindern falsche Ideologien beibringen und auf kriegerische Auseinandersetzung vorbereiten. Diese Idee finden sich hauptsächlich unter Nachkriegsgenerationen wieder, da im besetzen Frankreich die Jugendgruppen durch nationalsozialistische Kräfte umstrukturiert wurden.

Mit dem Vorwurf, dass die Pfadfinder militaristisch oder sogar der Hitler-Jugend entsprächen, wird man in Deutschland öfters konfrontiert. Gerade deswegen ist es wichtig, dass wir uns vom Militär distanzieren, indem wir zum Beispiel keine Flecktarnmuster tragen.

Das Vorurteil hat ebenfalls historische Wurzeln: Um den Einfluss der national-sozialistische Ideologie nach der Machtübernahme Hitlers möglichst auf die gesamte Gesellschaft auszuüben, wurden Massenorganisationen für verschiedene Zielgruppen geschaffen: Junge, Alte, Frauen, Männer. Die „Deutsche Arbeitsfront“ (DAF) sowie seine Filiale „Kraft durch Freude“ (KDF) hatten die Aufgabe, alle Freizeitangebote für die deutsche Bevölkerung zu überwachen und gleichzuschalten. Dementsprechend wurden sämtliche Jugendvereine und Pfadfinderverbände in die Hitler-Jugend überführt oder bei Widerstand aufgelöst. Einige Pfadfinder traten ohne Murren in die HJ ein. Andere fühlten sich durch Ideale wie Freiheit und Solidarität zum Widerstand gegen die Nazis berufen. Stauffenberg, der für das Attentat auf Hitler am 20. Juli 1944 verantwortlich war, war Pfadfinder.

Heutzutage wird man in Deutschland von Zeit zu Zeit mit dem Militär assoziiert. Ich denke es ist wichtig, auch in Anbetracht der deutschen Geschichte, Verständnis dafür zu haben, dass uniforme Kleidung, Rituale und Hierarchien nach außen hin möglicherweise den Anschein von Gemeinsamkeiten zum Militär oder der HJ erwecken können. Gleichzeitig ist es wichtig, wo nötig aufzuklären und die Unterschiede hervorzuheben.

Vorurteilen begegnen

Wie man Vorurteilen begegnet, muss im Ermessen der Situation reflektiert werden. Manchmal hilft es darauf aufmerksam zu machen, dass viele bekannte Persönlichkeiten wie Neil Armstrong, Mariah Carey oder Queen Elisabeth II. auch Pfadfinder waren. So bescheuert können Pfadfinder also doch gar nicht sein. Ansonsten denke ich hilft es, sich mit den Vorurteilen auseinanderzusetzen, zu wissen, wo sie herkommen und (wenn möglich) im Gespräch aufzuklären. Da eigene Erfahrung immer besonders gut gegen Vorurteile wirkt, vielleicht lädst du mal jemand zu einer Pfadiaktion ein, damit er seine Meinung ändert.

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