Diese Andacht wurde im Rahmen der Späheraufnahmen am Samstag Abend auf dem Pfingstlager 2018 zum Thema „Dienen“ gehalten und orientierte sich an den im Vorfeld geführten Spähergesprächen.

Die Diakonie, wie wir sie heute kennen, entstand als Antwort auf die sozialen Probleme in Deutschland während der Industrialisierung. Damals entstanden erstmals soziale Einrichtungen und Berufe wie Erzieher und Pfleger durch das geweckte Verantwortungsbewusstsein einzelner Protestanten wie Johann Hinrich Wichern, Friedrich von Bodelschwingh oder Wilhelm Löhe. Diakonissenmutterhäuser entstanden für die Ausbildung von evangelischen Kranken- und Armenfürsorgerinnen, wo Frauen auf ihr Berufsleben vorbereitet wurden. In einer dieser Ausbildungsstätte legten sie folgendes Versprechen ab:

„Was will ich?“ „Dienen will ich.“ 

„Wen will ich dienen?“ „Dem Herrn und seinen Elenden und Armen.“ 

„Und was ist mein Lohn?“ „Ich diene weder um Lohn noch um Dank, sondern aus Dank und Liebe! Mein Lohn ist, dass ich dienen darf.“ 

Dieses Grundverständnis von „Dienst“ als unentgeltliche, selbstlose Hingabe und Aufopferung entspricht kaum dem heutigen Wortgebrauch, der meist bezahlte Arbeit oder ein Amt beschreibt noch dem Selbstverständnis, dass wir hier von unserer ehrenamtlichen Arbeit haben. In einem Seminar über Ehrenamtlichenförderung habe ich gelernt, dass sie meisten Menschen sich heutzutage engagieren, um sich selbst zu entfalten, Interessen zu vertiefen, Fähigkeiten zu stärken und Berufserfahrung zu sammeln. 

Doch der Gedanke des „Dienstes“ findet wir auch in unseren Grundsätzen:

„Wir wollen mit allen Kräften danach streben, Christen der Tat zu werden, an Gott gebunden, dem Nächsten zum Dienst.“ (Neudietendorf 1921) 

Diese Formulierung wurde in das Späherziel von 1948 übernommen.

Was bedeutet es, sich in Berufung auf seinen Glauben in den Dienst der Mitmenschen zu stellen. „Dienen“ scheint kein besonders zeitgemäßer Begriff mehr zu sein, mit dem man sein eigenes Handeln identifiziert. Ich lese immer wieder in Späherläufen, dass Anwärterinnen und Anwärter über den Begriff stolpern und sich kaum etwas darunter vorstellen können.

Die Fußwaschung nach Joh 13,1-17 von Alexandra Oehlert (2012)

Die Fußwaschung nach Joh 13,1-17 von Alexandra Oehlert (2012)

Ich möchte daher mit euch einen Blick in die Bibel werden. An einigen Stellen im Neuen Testament finden wir den griechischen Begriff „diakonia“, wovon das deutsche Diakonie abgeleitet wird. Es wird jedoch nicht einheitlich verwendet. Er bezeichnet ganz banale Alltagsaufgaben wie Haushaltsführung und Tischdienst, aber auch Armenfürsorge und Krankenpflege. Jesus bezeichnet sich selbst als Diener und übernimmt z. B. bei der Fußwaschung Aufgaben, die eigentlich von Sklaven verrichtet wurden. In dieser Zeit war es noch üblich, dass die wohlhabenderen  Gesellschaftsschichten Diener und Sklaven hatten. Die Gesellschaft war stark hierarchisiert. Deswegen war am christlichen Glauben im ersten Jahrhundert so einzigartig, dass er die weltlichen Differenzen zwischen Mann und Frau, Juden und Griechen auflöste. Jesus ist ein Sinnbild für die Umkehrung all dieser Hierarchien: Der göttliche Heilsbringer, Befreier, Erlöser der Welt offenbart sich als der demütige, im Leiden dienende Gottesknecht. Er tritt in Erscheinung nicht als der reiche, mächtige König oder rebellischer Stürzer des römischen Imperiums, sondern als wehrloser, mittelloser und vollkommen abhängiger Säugling. Er war nicht der Messias, mit dem die Juden zu dem Zeitpunkt rechneten.

In Jesus offenbart sich der göttliche Wille: Sein ganzes Leben und Wirken war Hingabe an den Menschen, dessen Höhepunkt und Vollendung der Kreuzestod darstellt. Die ganze Sendung, die ganze Mission Christi ist „Dienst“:

„Denn der Menschensohn ist nicht gekommen, um sich dienen zu lassen, sondern zu dienen und sein Leben zu geben als Lösegeld für viele.“ Mt 10,45

Jesus löst alle Hierarchien auf und kehrt sie um. Er wendet sich besonders den Schwachen und Bedürftigen, den Ausgeschlossenen und Stigmatisierten, den Kranken und Verachteten zu. Er identifiziert sich mit ihnen.

„Was ihr einem meiner geringsten Brüdern getan habt, das habt ihr mir getan.“ Mt 15,3

Deswegen sind auch wir in den Dienst unserer Mitmenschen gerufen. Wir sind dazu aufgefordert, uns wie Jesus den Menschen in Not zuzuwenden, um in den Schattenseiten des Lebens der Liebe Gottes zu begegnen. Diakonie ist der ganzheitliche Kampf gegen jede Form von Leid, Not oder Elend, unabhängig von der Gestalt, die sie im jeweiligen Kontext annimmt, sei sie physischer, psychischer oder sozialer Natur. Diakonie beginnt im Alltag. Sie beginnt in der Einsicht, dass jeder von uns auf Hilfe angewiesen ist und wir deswegen Verantwortung für einander haben. Wie Jesus sollen wir als „Christen der Tat“ Schwäche annehmen und akzeptieren statt sie zu verurteilen, gesellschaftlich bedingte Vorurteile überwinden, anderen Trost und Beistand spenden und einen Ort schaffen, an dem Versöhnung und Heilung möglich ist.

Diakonie ist nicht nur eine Tätigkeit. Diakonie ist eine Haltung. Dienst ist eine Dimension all unserer Handlungen, eine Art gemeinschaftliches Miteinander, in dem alle Hierarchien umgekehrt und aufgelöst werden. Als christliche Pfadfinder sind wir dazu aufgerufen zu bedenken, wie jeder von uns „Diakonie“ in seinem Leben umsetzen kann.