Diese Andacht wurde im Rahmen der Späheraufnahmen am Mittwoch Abend auf dem Pfingstlager 2018 gehalten und orientierte sich an den im Vorfeld geführten Spähergesprächen.

Kinder fragen Gott:

Hast du auch eine Mutter, die sich in die Arme nimmt? Bist du verliebt? Wie war es, als du ein Kind warst? Bist du der einzige Gott? Wer hat dich gemacht? Was war vor der Zeit? Warum hast du die Erde geschaffen? Warum gibt es verschiedene Sprachen? Wie schaffst du es, dass eine Fliege fliegen kann und so ein winziges Herz hat? Wer macht die Tage und sind sie irgendwann alle? Warum lässt du manche Menschen behindert auf die Welt kommen? Warum lässt du den Krieg nicht Frieden werden? Liebst du auch Mörder und Diebe? Warum werden manche Menschen krank und nicht mehr gesund? Hast du nicht alle Kinder gleich lieb? Hat der Schutzengel nicht aufgepasst? Wieso hast du zugelassen, dass meine Katze überfahren wurde? Wie ist das, wenn man tot ist? Gibt es dich wirklich? Ich kann dich nicht sehen. Wie sieht es im Himmel aus? Hast du so viel zu tun und deshalb keine Zeit für mich? Bist du böse auf mich? Tut Gott heute noch Wunder? Wer bin ich und wer darf ich sein? 

Fragen von Kindern an Gott beschäftigen sich mit der Existenz und der Existenzweise Gottes, mit dem Leben und Sterben, mit der Welt, mit Leid, Sinn und Gerechtigkeit. Es gehört zum Wesen der Kinder, dass sie mit Offenheit und Neugier die Welt erkunden. Sie stellen Fragen über Fragen.

Das Bild von Kindern in der Bibel ist sehr unterschiedlich: Kinder im Allgemeinen sind Hoffnungsträger des Gottesvolkes. Einen besonders großen Raum in der Bibel nehmen Geschichte von der Zeit um die Geburt von Kindern ein, von Abrahams Söhnen über Mose bis hin zu Jesus und Johannes des Täufers. Der Segen Gottes offenbart sich im Kinderreichtum biblischer Erzählfiguren, insbesondere dann wenn sie die Erfüllung der Verheißung von Nachkommenschaft darstellen.

Gleichzeitig ist das Bild des Kindes zu Zeiten des Neuen Testaments das eines defizitären Erwachsenen, das erst noch durch Erziehung zurecht geformt werden muss. Das deutsche Wort „Bildung“ stammt aus dem althochdeutschen Wort für „Bildnis“ oder „Schöpfung“. Das französische Wort „formation“ hat die selbe Bedeutung. Zugrunde liegt der Gedanke, dass ein Kind noch ein unvollständiger Menschen ist. Bei Paulus finden wir diesen Gedanken, wenn er im 1 Kor 13, 11 schreibt:

„Als ich ein Kind war, da redete ich wie ein Kind und dachte wie ein Kind und war klug wie ein Kind; aber als ich ein mann wurde, tat ich ab, was kindlich war.“

Das Kindliche wird im Kontext verstanden als eine nur vollständige Erkenntnis.

Im sogenannten „Kinderevangelium“ (Mt 19, 13-15) zeigt sich, dass Jesus ein anderes Bild des Kindes hat:

„Damals wollten einige Leute ihre Kinder zu Jesus bringen, damit er ihnen die Hände auflege und für sie bete; aber die Jünger fuhren sie an und wollten sie wegschicken. Da sagte Jesus: »Lasst doch die Kinder! Hindert sie nicht, zu mir zu kommen; denn für Menschen wie sie steht Gottes neue Welt offen.« Dann legte er den Kindern segnend die Hände auf und zog von dort weiter.“ (Gute Nachricht)

Die Jünger weisen die Kinder ab. Jesus jedoch läd sie herzlich ein. Er segnet sie. In Parallelität zu anderen Minderheiten und benachteiligten Randgruppen wendet sich Jesus den Schwächsten in der Gesellschaft zu: Den Kindern. Die besondere Aufmerksamkeit, die Jesus den Kindern widmet, verdeutlicht, dass diese ab Lebensbeginn wertvolle Personen sind. Als Abbilder und Geschöpfe Gottes gebührt ihnen Achtung und würdevoller Umgang. Gottes Heilswillen an seinem Volk offenbart sich auch an ihnen durch Heilung, Auferweckung, Segnung und öffentliche Hinwendung.

Doch Jesus geht noch einen Schritt weiter. Er dreht die bestehenden Verhältnisse um. In Mt 18, 1-5 lesen wir:

„Um diese Zeit kamen die Jünger zu Jesus und fragten ihn: „Wer ist in der neuen Welt Gottes der Größte?“ Da rief Jesus ein Kind herbei, stellte es in ihre Mitte und sagte: „Ich versichere euch: Wenn ihr euch nicht ändert und den Kindern gleich werdet, dann könnt ihr in Gottes neue Welt überhaupt nicht hineinkommen. Wer es auf sich nimmt, vor den Menschen so klein und unbedeutend dazustehen wie dieses Kind, ist in der neuen Welt Gottes der Größte. Und wer einen solchen Menschen in meinem Namen aufnimmt, nimmt mich auf.““ (Gute Nachricht)

Jesus weist uns dazu an, wie die Kinder zu werden. Was kann das bedeuten? Wörtlich nehmen sollten wir dieses Jesuswort nicht. Nicht kindisch sollen wir sein, sondern kindlich. Uns das innere Kind bewahren. Welche Eigenschaften haben Kinder, die wir uns als Vorbild vor Augen nehmen sollten? Kinder freuen sich über die kleinen Dinge. Sie laufen durch die Welt mit offenen Augen. Sie stellen tausend Fragen und wollen alles verstehen. Sie sind neugierig und lernfähig. Sie haben viel Fantasie und Ideenreichtum. Sie sind offen und kreativ. Sie sind vertrauensselig und gehen ohne Vorurteile auf einander zu. Ihr Auftreten ist authentisch. Sie sind in der Regel ehrlich und manipulieren nicht. All diese Eigenschaften lohnt es sich zu erhalten. Gerade das Vertrauen ist auch eine Grundlage des Glaubens. Ein Vertrauen, das  Zweifel und Fragen nach dem „warum?“ jedoch nicht ausschließt, sondern Wachstum ermöglicht.

Natürlich sind all diese Eigenschaften gewissermaßen ein Ideal oder Stereotyp des Kindes im Kontrast zum Erwachsenen. Man darf nicht vergessen, dass Kinder auch abhängig und bedürftig sind. Die Mahnung und Ermutigung zu sein wie ein Kind bedeutet auch, sich dieser Abhängigkeit und Bedürftigkeit bewusst zu sein. In unserer Gesellschaft werden wir dazu ermutigt zu denken, dass Unabhängigkeit, Selbstständigkeit und Selbstbestimmtheit erstrebenswert sind. Dabei sollten wir nicht den Fehler begehen, unsere eigenen Unzulänglichkeiten zu verleugnen, sondern uns unsere Schwächen einzugestehen. Denn erst dadurch kann man sich wirklich Gott anzuvertrauen. Erst dadurch können wir Perspektiven entwickeln, die helfen an unseren Erfahrungen zu wachsen. Ein reifer Glaube ist ein Glaube, der sich in einer Lebensgestaltung zeigt, die sich von Gott abhängig macht.

Heridas-emocionales

Im Späherziel heißt es, dass wir „nach Gottes Willen reifen wollen“. Ich habe mir die Frage gestellt, ob das Wachsen und Reifen im Widerspruch zur Aufforderung steht, „das innere Kind zu bewahren“. Ich denke diesen Widerspruch kann man auflösen. In einem Buch von Ulrich Schaffer habe ich folgendes gefunden:

„Wenn ich wachse, mache ich mich verletzbar wie eine junge Pflanze, die kämpfen muss gegen Wind, Regen, Hitze und Frost. Wachsen und reifen heißt fähig werden, mit dem Rhythmus zwischen Glück und Unglück umzugehen. Reifen heißt, die immer wiederkehrende Bewegung zwischen leicht und schwer, zwischen oben und unten, zwischen vor und zurück zu ertragen.“ 

In diesem Sinn stellt „das innere Kind zu bewahren“ die Voraussetzung zum Wachstum dar. Wenn wir uns von dem Ballast der Vergangenheit lösen, können wir ihm die Kraft nehmen, unsere Zukunft zu bestimmen. Aus der Perspektive eines Kindes können wir unsere Augen auf das richten, was in der Zukunft liegt. Aus dieser Perspektive können wir neue Ideen entwickeln, die festgefahrenen  Wege verlassen und neue Wege suchen – im Glauben und im Miteinander.