Die Anfänge
Die Anfänge der evangelischen Jugendarbeit in Deutschland liegen in den 20er und 30er Jahren des 19. Jahrhunderts – die Zeit der sich ausbreitenden Industrialisierung. Die Fabriken und Firmen, die sich in den Städten ansiedelten, lockten vor allem junge Männer an, die sich dort Arbeit und Lohn erhofften. Doch diese Arbeiten waren schwer und oft gesundheitsschädlich – trotz geringer Löhne; das städtische Leben verführerisch, aber wenig befriedigend: Die Folgen waren innere und äußere Not. Diese Umstände führten dazu, dass einzelne Personen, oft Persönlichkeiten aus einflussreichen gesellschaftlichen Schichten, sich verantwortlich fühlten und deswegen Hilfsangebote ins Leben riefen. Kirchengemeinden und Jugendorganisationen im heutigen Sinne gab es nicht.
Im Kontext evangelischer Jugendarbeit sind vor allem drei Theologen bedeutend, die von den damals entstehenden Erweckungsbewegungen beeinflusst wurden. Während ihrer Studienzeit in Tübingen waren sie in einem gemeinsamen Bibelkreis. Während ihrer Zeit als Pfarrer engagierten sie sich besonders für junge Menschen, setzten dabei allerdings unterschiedliche Schwerpunkte.
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Ludwig Hofacker (Stuttgart)
Seine Arbeit war bibelzentriert und missionarisch ausgerichtet. Er bot eine „Jugend-Stunde“ an, Bibelunterricht für Schüler und Lehrlinge, und versuchte Jugendliche durch das Predigen zu erreichen. Geprägt wurde er durch die Schriften von Michael Hahn, der die Hahnschen Gemeinschaft und die „Stund“ gründete.
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Emil Wilhelm Krummacher (Wuppertal)
Seine Arbeit war ebenfalls missionarisch ausgerichtet, allerdings selbstständig. Er gründete den ersten kirchen-unabhängigen „Missionsjünglingverein“, welcher der „glaubensmäßigen Erbauung“ junger Menschen und Förderung ihres kirchlichen und gesellschaftlichen Engagements dienen sollte.
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Theophil Passavat (Tübingen, Basel)
Seine Arbeit war sozial-diakonisch ausgeprägt. Er erkannte, dass die nach dem Vorbild Krummachers gegründeten Jünglingsvereine nur einen geringen Teil junger Menschen erreichten. Deswegen gründete er nun einen „Verein für Sonntagssäle für Arbeiter, Lehrlinge und Knaben“ – bei diesen handelte es sich um beheizte Aufenthaltsräume, die sonntags geöffnet wurden, sodass dort junge Menschen gemeinsam selbstorganisiert Zeit miteinander verbringen konnten. Dort wurde auch Lesematerial und Schreibzeug zur Verfügung gestellt.
Bereits in den Anfängen der evangelischen Jugendarbeit entwickelten sich so verschiedene Ansätze und Konzepte, junge Menschen mit dem Evangelium zu erreichen. Ziel der Arbeit war jedoch auch, sich im Sinne christlicher Nächstenliebe in ihren Dienst zu stellen, sie gleichzeitig zu eigenem Engagement und sinnvoller Freizeitgestaltung und Lebensführung zu bewegen.
Bis 1840 breiteten sich die unterschiedlichen Ansätze parallel zu einander in Deutschland auf verschiedene Weise aus, ohne dass dabei größere Reibungspunkte entstanden. In der Folgezeit entzündete sich jedoch eine kontroverse Debatte, die eine erste Polarisierung von Positionen zur Folge hatte. Triebfeder dafür waren vor allem zwei Zeitschriften, die zum Informationsaustausch herausgegeben wurden: Die „Fliegenden Blätter“, herausgegeben von Johann Hinrich Wichern, welche schwerpunktmäßig Berichte über das Vereinsleben, soziale Not und die soziale Frage behandelten sowie der „Jünglingsbote“, herausgegeben von Günter Dürselen, in dem über die Jünglingsvereine berichtet wurde. Er zielte auf die Förderung des geistlichen Lebens und Gemeinschaftspflege ab, die Vereinsstruktur wurde betont. Die Auseinandersetzung über die Grundausrichtung und das Zielverständnis evangelischer Jugendarbeit nahm heftige Formen an – bis hin zur gegenseitigen Verunglimpfung. Die Anfänge der Mädchenarbeit, die sich etwa ab 1835 vollzogen, waren insgesamt stärker auf die Bewahrung und Beförderung des Dienstgedankens ausgerichtet. Derartige Kontroversen fanden in diesem Kontext nicht statt.
Die Zeit der Bünde und Zusammenschlüsse
Die ersten „Bünde“ entstanden ab etwa 1848. Zu diesem Zeitpunkt schließen sich erstmals Jünglingsvereine eines Landesverbandes zusammen, wie etwa der Rheinisch-westfälischer Bund, der Süddeutsche Jünglingsbund oder der Sächsische Jünglingsbund. Aufgrund der unterschiedlichen Ausrichtungen verschiedener Bünde blieben Spannungen zwischen Ihnen bestehen.
1855 wurde der CVJM Weltbund gegründet, deren Grundlage die „Pariser Basis“ ist. Der erste „Christliche Verein Junger Männer“ wurde elf Jahre zuvor in London von George Williams gegründet.
1863 wurde in Stuttgart das erste Stadtjugendpfarramt in einer Landeskirche eingerichtet. Es handelte sich dabei um die erste erkennbare kirchliche „Einbindung“ und Unterstützung der sich bisher frei entfaltenden Jugendarbeit.
Um 1880 herum bemühte man sich erstmals um einen Nationalverbund aller Landesbünde. 1893 wurde das sogenannte „Kugelkreuz“ als bundes-übergreifendes Zeichen der Evangelischen Jugendarbeit erstmals eingeführt. 1990 erfolgte der mühsame Zusammenschluss zur „Nationalvereinigung“ der evangelischen Jünglingsbündnisse Deutschland“, in der allerdings nur neun Bünde vertreten waren. Neun Jahre später zerbrach diese Vereinigung jedoch bereits wieder im Streit um die „Grundsatzfrage“. Aus dieser Auseinandersetzung entstanden zwei Richtungen: In der Nationalvereinigung blieben die Bünde mit missionarisch-geistlichen und kirchlichen Anliegen. Bünde mit offeneren Zielverständnissen sowie diakonisch-sozial gesinnte Vereinigungen gründeten den Bund deutscher Jugend.
Die preußischen Jugendpflegeerlasse von 1911 und 1913 rückten erstmals die Jugendarbeit in eine den drohenden gesellschaftlichen Gefährdungen entgegenzusetzende – und somit gesellschaftlich gebotene Aufgabe ins Blickfeld. Staat und Kirche begegneten dieser Herausforderung, aber auch Parteien und Gewerkschaften benutzten die Jugendarbeit, um Nachwuchs zu „rekrutieren“. Es entstand erstmals eine Konkurrenzsituation zwischen verschiedenen Trägern der Jugendarbeit.
Der Beginn des ersten Weltkriegs 1914 brachte tiefe Einschnitte und Einbrüche der Jugendarbeit, die nach Kriegende vier Jahre später mühselig wieder aufgebaut werden musste.
Die missionarisch orientierten CVJM-Gruppen schlossen sich 1919 zu einer Arbeitsgemeinschaft zusammen, welche 1921 zum „Reichsverband der Evangelischen Jungmännerbünde und verwandter Bestrebungen“, wurde. Erich Stange übernahm das Amt des „Reichswarts“ des sogenannten „Jungmännerwerkes“, welcher dem heutigen CVJM-Gesamtverband in Deutschland entspricht. Im selben Jahr schlossen sich die evangelischen Pfadfinder zu einer Arbeitsgemeinschaft zusammen: der Christlichen Pfadfinderschaft Deutschlands, welche später zu einem selbständigen Verband wurde. Stange trat 1933 in die NSDAP ein und wurde so zum „Reichsführer der Evangelischen Jugend Deutschlands“, verlor diese Position allerdings als er gegen die Überführung der Jugendverbände in die Hitlerjugend (HJ) und den Bund deutscher Mädel (BDM) protestierte, die am 4. März 1934 umgesetzt wurde. Er wurde im selben Jahr aus der NSDAP ausgeschlossen, setzte jedoch seine Arbeit bis nach dem Zweiten Weltkrieg für den Reichsverband weiter. Christliche Jugendgruppen durften nur noch innerhalb der Kirchengemeinden zu Verkündigungszwecken und Bibelarbeiten stattfinden. Die bisherige Selbstständigkeit der Bünde wurde somit beendet und es kam zu einer starken Vereinnahmung der Jugendarbeit durch die Kirchen.
Nach 1945 begann der mühsame Wiederaufbau der evangelischen Jugendarbeit, welche unter „Kontrolle“ der Siegermächte stand. 1946 wurde die Ordnung der Evangelischen Jugend Deutschlands verabschiedet, welche das Kugelkreuz als verbindendes Symbol aller evangelischer Jugend bestätigte.
Zur vertiefenden Lektüre empfiehlt sich:
Geschichte der Evangelischen Jugendarbeit (U. Schwab, München 2003)
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