Der zweite Satz im Späherziel lautet folgendermaßen: Wir wollen mit aller christlichen Jugend danach trachten, aktive Glieder der Kirche zu werden.
Dieser Satz wird oft so verstanden, dass man sich in die örtliche Kirchengemeinde einbringen soll. Das ist natürlich grundsätzlich nicht falsch. In unseren Grundsätzen steht: „Der Anspruch Gottes bindet uns an den Nächsten und fordert unsere Antwort durch Mitarbeit in Kirche, Staat und Gesellschaft.“ Es wird ausgeführt, dass das zur Übernahme von Diensten und zu persönlichen Einsatz im Leben der Kirchengemeinden verpflichte. Doch was genau bedeutet das? Wie soll man denn „Gemeinde“ und „Kirche“ eigentlich verstehen?
Der Begriff „Kirche“ kommt ursprünglich aus dem Griechischen, denn das Neue Testament wurde in dieser Sprache verfasst: „Kyriakos“ bedeutet „zu einem Herrn gehörend“. Das bedeutet, das Bekenntis und die Zugehörigkeit zu dem „Kyrios“ („Herrn“) Jesus Christus ist das Wesentliche Erkennungsmerkmal der Kirche. Mit dem Begriff „Kirche“ hat daher nicht wie heute ein Gebäude oder eine Institution beschrieben, sondern das Selbstverständnis einer Gruppierung von Menschen, die einen Glauben teilten.
Im Neuen Testament findet sich statt „Kirche“ meistens das Wort „Gemeinde“ oder „Versammlung“. Das sind Übersetzungen des griechischen Wortes „ekklesia“. Wörtlich übersetzt bedeutet es „Herausgerufene“. Das liegt daran, dass in der damaligen Gesellschaft nicht alle Menschen die selben Bürgerrechte hatten. Wenn wichtige Versammlungen stattfanden wurde daher die Führungsschicht der Stadt zusammengerufen. In der Apostelgeschichte Kapitel 19) wird das Wort „ekklesia“ auch benutzt, um eine anti-christliche Versammlung zu beschreiben. Das entspricht dem Wortgebrauch des Alten Testaments, in dem das hebräische „qahal“ auch für alle Arten von Versammlungen oder Zusammenkommen verwendet wird.
In der frühen christlichen Literatur wird der Begriff oft religiös ausgelegt: Es handelt sich um Menschen, die von Gott berufen wurden, was mit besonderen Rechten und Pflichten verbunden war. Im 1. Petrusbrief 2,9 wird Gott beschrieben als der, “ der euch aus der Finsternis zu seinem wunderbaren Licht berufen hat“ (1. Petrus 2,9).
An Stelle des Wortes „Kirche“ werden andere Begriffe im Neuen Testament verwendet, um die Glaubensgemeinschaft der Christen zu beschreiben, an prominenter Stelle der „Leib Christi“. Hier zwei Beispiele:
„Nun aber hat Gott die Glieder bestimmt, jedes einzelne von ihnen am Leib, wie er wollte. Wenn aber alles ein Glied wäre, wo wäre der Leib? Nun aber sind zwar viele Glieder, aber ein Leib. IHR aber seid Christi Leib und, einzeln genommen, Glieder.“ (1. Korinther 12,20.27)
„Denn wie wir in einem Leib viele Glieder haben, aber die Glieder nicht alle dieselbe Tätigkeit haben, so sind wir, die vielen, ein Leib in Christus, einzeln aber Glieder voneinander. Da wir aber verschiedene Gnadengaben haben nach der uns gegebenen Gnade, so lasst sie uns gebrauchen.“ (Römer 12,4 f.)
In diesen Bibelstellen wird ein Bild von „Kirche“ entworfen, das sich aus vielen einzelnen Gläubigen und Ortsgemeinden zusammensetzt (Glieder), die alle zusammengehörig sind. Sie haben alle unterschiedliche Gaben und Fähigkeiten, mit denen sie sich einbringen, und unterschiedliche Bedürfnisse. Das Haupt der Kirche ist Jesus. Er ist der zentrale Bezugs- und Orientierungspunkt. Biblisch gesehen gibt es also nur eine Kirche: Die Gemeinschaft der Gläubigen. Die Ortsgemeinden sind Versammlungen als Glieder der weltweiten Kirche. die mit ihren jeweiligen Traditionen gleichwertig nebeneinander stehen.
Die Gemeinschaft der Christen hat sich zur Zeit des römischen Imperiums vor allem dadurch von den anderen Religionen unterschieden, dass die weltlichen Differenzen wie sozialer Status durch die Glaubenszugehörigkeit und damit durch eine neue Identität überwunden wurden:
„Denn ihr seid ALLE durch den Glauben Gottes Kinder in Christus Jesus. Denn ihr alle, die ihr auf Christus getauft seid, habt Christus angezogen. Hier ist nicht Jude noch Grieche, hier ist nicht Sklave noch Freier, hier ist nicht Mann noch Frau; denn ihr seid allesamt einer in Christus Jesus.“ (Galater 3,26-28 )
„Denn in einem Geist sind wir alle zu einem Leib getauft worden, es seien Juden oder Griechen, es seien Sklaven oder Freie, und sind alle mit einem Geist getränkt worden.“ (1. Korinther 12,13)
Im Glauben ist Gott durch seinen Geist im Menschen gegenwärtig und wirksam.
“Denn wo zwei oder drei in meinem Namen versammelt sind, da bin ich mitten unter ihnen.” (Mt 18,20)
Im Judentum und in anderen antiken Religionen war der Ort, an dem Gottes Gegenwart spürbar war, traditionell der Tempel. Doch durch die Exilssituationen, in denen sich die Israeliten immer wieder fanden, und die mehrfache Tempelzerstörung war es auch kennzeichnend, dass es einen solchen festen Ort nicht gab. Wir bei dem Auszug aus Ägypten und der Wanderschaft durch die Wüste, war Gott dennoch bei seinem Volk durch seine Offenbarungen gegenwärtig. In dieser Tradition versteht sich die Kirche als Glaubensgemeinschaft selbst als Tempel, als Ort an dem Gott durch seinen Geist wirkt. Paulus schreibt in seinen Briefen: „Wisst ihr nicht, dass ihr Gottes Tempel seid und der Geist Gottes in euch wohnt?“ (1Kor 3,16) So wie die Kirche als Gebäude ein sichtbares Zeichen des Glaubens ist, wird in der Gemeinschaft der Gläubigen, der „Kirche“, Gottes Anwesenheit sichtbar.
Daher knüpft der christliche Glaube an die jüdischen Tradition an. Jesus und seine ersten Jünger waren selbst Juden. Ihre Glaubensgrundlage waren auch die Schriften, die wir als „Altes Testament“ kennen. Testament bedeutet eigentlich „Bündnis“. Das alte und das neue Testament kann man daher verstehen als verschiedene Bündnisse, die Gott mit den Menschen eingegangen ist: Zunächst durch die Tora mit dem israelitischen Volk, durch Jesus erweitert auf die gesamte Menschheit. Die Kontinuität im Heilswillen Gottes lässt daher zu, dass sich die Kirche als „neues Gottesvolk“ sieht.
Fazit
In der Bibel sucht man vergeblich nach dem Wort „Kirche“. Unterschiedliche Bezeichnungen werden für die junge Christenheit in den neutestamentlichen Schriften verwendet, die auf den zeitgenössischen kulturellen und religiösen Kontext hinweisen. Verbindungen zum jüdischen Gottesbild und Selbstverständnis sind erkennbar.
Die Betrachtung der biblischen Quellen macht deutlich, dass die Kirche, im Gegensatz zu unserem heutigen Sprachgebrauch, weder ein Gebäude noch eine Konfession ist, sondern vor allem eine weltweite Glaubensgemeinschaft. Die einzelnen Gläubigen und Ortsgemeinden sind sind Glieder der Kirche. Diese sind von einander abhängig und bereichern durch unterschiedliche Begabungen die Kirche.
Ein aktives Glied der Kirche zu sein ist daher etwas anderes als am sonntäglichen Gottesdienst in der nächstgelegenen Gemeinde teilzunehmen. Alls Späher sind wir dazu aufgefordert, unsere eigenen Gaben anzuerkennen und in den Dienst der „Kirche“ zu stellen. Das kann auf unterschiedlichste Art und Weise geschehen. Wie möchtest du diesen Punkt vom Späherziel in deinem Leben umsetzen?
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