Diese Predigt wurde im Rahmen des Gottesdienstes beim Späherkurses 2016 gehalten und beschäftigte sich sowohl mit den Pfadfindergrundsätzen als auch dem biblischen Motiv des Kundschafters am Vorbild von Kaleb (Numeri 13-14).

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Die zwölf Kundschafter, die zur Erkundung Kanaans ausgesandt werden

Knappe, Späher, Gau, Landesmark, Pfila, Koschi, Hoschlawo, Groko, Juja… So viele Begriffe, die ganz selbstverständlich in unser Vokabular gehören, mögen doch für Außenstehende wie ein Dschungel fremdsprachiger Wörter klingen, mit denen man zunächst einmal wenig anzufangen weiß. Wir benutzen diese Worte, die wir teilweise noch aus Wölfingszeiten in der Meute kennen oder später von unseren Sifüs gelernt haben, so selbstverständlich, dass wir uns wenig Gedanken über die Begrifflichkeiten selbst machen. Bei meinem Knappenkurs habe ich das erste Mal darüber nachgedacht, welche Tugenden im Mittelalter tatsächlich mit dem „Knappen“ verbunden waren und welche Bedeutung diesem Begriff bei uns im Bund zukommt – und damit meine ich nicht „in etwas älterer Pfadfinder, der eine neue Nadel bekommt“.

Wenn man im Duden nachliest, findet man unter dem Begriff „Späher“ folgende Definition: jemand, der etwas auskundschaften soll. Als Beispiele werden genannt „Späher aussenden, ausschicken“ und „er hatte seine Späher überall“. Den Späher können wir also als Kundschafter definieren. Aber dann bleibt uns dennoch die Frage: Warum Kundschafter? Warum wurde für diesen Stand diese Bezeichnung gewählt? Warum brauchen wir in der CPD Kundschafter? Was soll der Späher denn überhaupt erkunden oder erforschen?

Das Bild des Spähers oder Kundschafters findet sich auch in der Bibel wieder. Sie werden ausgesandt, um die Stärke und den Zustand eines feindlichen Landes zu ermitteln. Im 13. und 14. Kapitel des vierten Buches Moses, Numeri, finden wir zum Beispiel die Geschichte von zwölf Kundschaftern, die vom wandelnden Volk Israel damit beauftragt werden, in das Land Kaanan zu ziehen, um es auszuspähen, während die anderen in der Wüste Paran zurückbleiben. Vierzig Tage lang ziehen also diese Männer gemeinsam durch die Gegend und sammeln Eindrücke. Als sie zum Lager zurückkehren, berichten sie, teilen ihre Eindrücke und Gedanken mit. Doch sie scheinen zwiegespalten: Einerseits sind sie überwältigt von der Güte und dem Segen Gottes. Das Land, das ihnen zuteil werden soll, ist reich und voller Kostbarkeiten: Im Land, in dem Milch und Honig fließen, wachsen auch Weintrauben, so groß, dass man sie nur zu zweit tragen kann.

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Die Schätze des Landes Kanaans

Doch gleichzeitig fürchten sie sich vor der Macht der Einwohner und den befestigten Städten dort: Was können sie denn schon gegen diese Völker ausrichten? Wie sollten sie denn dieses Land einnehmen? Ihre Sorgen, ihre Furcht verbreitet sich schnell im ganzen Volk. Es entstehen Gerüchte, dass dort tatsächlich sogar Riesen wohnen, die Menschen fressen! Das Volk lehnt sich gegen Gott auf und weigert sich weiterzuziehen. Lieber wollten sie in der Wüste sterben, beklagen sie sich.

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Die Späher verbreiten Angst und Schrecken unter dem Volk

Doch in dieser Erzählung gibt es noch zwei besondere Figuren, deren Vertrauen zu Gott nichts ins Wanken gerät. Der erste ist Mose selbst, der das Volk Israel aus Ägypten bis hierher geführt hatte und bislang alle Schwierigkeiten gemeistert hatte. Auch hier verzagt er nicht, sondern bietet Gott um Vergebung für das geängstigte Volk, für Kraft und Mut für die kommende Wanderung durch die Wüste, die vierzig Jahre dauern sollte: So lange, dass keiner derjenigen, die damals dabei gewesen war, tatsächlich selbst das gelobte Land betreten sollte, sondern erst die nächste Generation.

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Moses bittet für das Volk vor Gott im Gebet

Die zweite Figur, die sich besonders hervorhebt ist Kaleb, von dem man nicht viel erfährt, doch dessen charakteristische „völlige Nachfolge“ immer wieder als Motiv auftaucht. Kaleb ist einer der Späher, doch er unterscheidet sich von ihnen. Statt Furcht und Schrecken zu verbreiten, statt Angst zu predigen, ermutigt er das Volk dazu, auf Gottes Zusage zu vertrauen. Das Volk reagiert damit, ihn fast zu steinigen und nur Gottes Eingreifen bewahrt ihn vor diesem Schicksal. Doch für sein Vertrauen wird er gut belohnt. Während die anderen Kundschafter den Tod finden, wird im Buch Josua erzählt, wie Kaleb als einziger der damals entsandten Späher es im hohen Alter noch schafft, Land in Kanaan zu erobern. Seine Nachfahren besiedeln daraufhin die Gegend von Hebron. Zu diesem Zeitpunkt wird das Leben Kalebs noch einmal zusammengefasst, mit den selben Worten, die ihn 45 Jahre vorher beschrieben haben: Er sei Gott völlig nachgefolgt.

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Kaleb – ein Späher mit besonderem Geist

Was können wir dieser Geschichte in Bezug auf den Späher entnehmen? Ein Späher scheint einer zu sein, der etwas Unbekanntes erforscht oder erkundet, etwa ein unbekanntes Land oder Gebiet. Jemand, der das ihm Bekannte hinter sich lässt und einen neuen Schritt in eine neue Richtung wagt. Jemand, der Sicherheit aufgibt, um Geheimnisse zu lüften, im Vertrauen darauf, dass sich dieses Wagnis lohnt. Jemand, der die Begegnung nicht scheut, sondern ihr mutig entgegen schaut. Zu kundschaften heißt über den Tellerrand hinaus in die Welt zu spähen, in der Begegnung mit anderen Menschen die eigene Komfortzone zu verlassen.

Über Kaleb wird gesagt, dass in ihm ein „anderer Geist“ wohnte, durch den er sich von den restlichen Spähern unterschied. Im 1. Timotheusbrief finden wir folgende Formulierung, die auch hier gut als Beschreibung passt: Nicht der Geist der Furchtsamkeit, sondern der Kraft und der Liebe und der Besonnenheit“. Nach diesem Geist zu leben, scheint auch unser Auftrag als Späher zu sein. Tapfer, standhaft und furchtlos im Vertrauen auf Gott unseres Weges gehen und zuversichtlich unserer Zukunft entgegenspähen.

In Späherziel der CPD befindet sich folgende Formulierung: Wir wollen über alles Trennende hinweg den wahren Wert des Menschen kennenlernen und andere Völker und ihre Jugend verstehen und achten lernen. Was Menschen von einander trennt, wie Jesus als unser Vorbild auf andere Menschen zugegangen ist und gesellschaftlich ausgegrenzte Menschen an seinen Tisch lud – davon berichtet das Neue Testament zu genüge. Die Gemeinschaft der Samariter oder die für die Römer arbeitenden Zöllner sind Beispiele von Jesus Zuwendung, die uns auffordern darüber nachzudenken, was Menschen von einander trennt und wie wie dem entgegen wirken können.

Wenn man ein bisschen in den Geschichte unserer Pfadfinderschaft stöbert, findet man auch dort in unseren Grundätzen Formulierungen, die uns dazu auffordern unsere eigenen Grenzen und die zwischen Menschen zu überwinden und uns stattdessen diesen anderen Geist, den Geist der Furchtlosigkeit und des Vertrauens anzueignen, den Kalebs Leben so beeindruckend und vorbildhaft bestimmt hat. In den Grundsätzen von Neudietendorf, die 1921 zur Gründung der CPD verfasst wurden heißt es etwa: Wir wollen uns helfen, über schlechte Launen und Gewohnheiten, über alle Trägheit und Unwahrhaftigkeit hinwegzukommen. Wir wollen lernen, auch Andersdenkende zu verstehen, und Lieblosigkeit und Ungerechtigkeit in uns und um uns bekämpfen. Wir wollen lernen, über alle Unterschiede des Lebens hinweg den wahren Wert des Menschen zu erkennen, und uns von gesellschaftlichen, politischen und wirtschaftlichen Vorurteilen freimachen.

Launen, Gewohnheiten, Trägheit, Unwahrheit, Lieblosigkeit, Ungerechtigkeit, Vorurteile. All dies sind Beispiel davon, was uns von einander trennt und was es zu überwinden gilt. Doch in den selben Sätzen steckt bereits diese Aufforderung, stets an sich zu arbeiten, um genau all dies zu überbrücken. Es gilt in jedem einzelnen Menschen die von Gott gegebene Würde zu erkennen und zu achten: „den wahren Wert des Menschen zu erkennen“, wie es auch in unserem heutigen Späherziel lautet.

Grenzen trennen Menschen von einander und sie begegnen uns überall. Vor ein paar Wochen bin ich zur östliche Außengrenze der EU in Narva im östlichen Zipfelchen Estlands gereist. Die Hermannsfestung ragt dort majestätisch über einen schmalen Fluss. Am anderen Ufer bekleidet eine lange mittelalterliche Mauer die Außengrenze des russischen Gegenübers. Beeindruckend und beängstigend zugleich zu wissen, wie viel Macht in diesen kahlen Steinwänden steckt und welche Pflüge sie seit Jahrhunderten zwischen Menschen pferchen.

Grenzen können einen zur Verzweiflung bringen. Schon dreimal wurde mir in meinem Leben die Ein- oder Ausreise wegen Formalitäten verweigert. Wie sinnlos, absurd und willkürlich es mir oft erscheint, wenn ich darüber nachdenke, wie viel Macht einem Stück Papier oder einem Stempel anhaften kann. Diese Verzweiflung, die ich kennenlernen musste, mussten im Laufe der Geschichte schon tausende von Menschen kennenlernen. Und auch heutzutage gibt es tausende von Menschen, die verbittert versuchen, willkürlich gezogene Grenzen zu überwinden, während andere Mauern bauen und Hass schüren.

Was mir im Laufe meines Lebens bewusst geworden ist, dass die meisten Grenzen nur Fiktionen sind, die man einfach überwinden kann, wie sprachliche Barrieren, die sich auftun können, wenn man ein wenig lernt. Auf diese Weise kann man auch durch die Beschäftigung mit dem, was einen persönlich von anderen Menschen trennt, durch die Konfrontation, selbst oft die Grenzen überwinden, die wir mit uns herumtragen. Ich hatte zum Beispiel immer große Hemmungen im Umgang mit Menschen mit geistiger Behinderung – nicht, weil ich sie als minderwertig empfunden habe, sondern weil ihr Anderssein mich verunsichert hat. Doch diese Hemmungen verschwanden, sobald ich ein bisschen Zeit mit solchen Menschen verbracht hatte. Durch mein Praktikum habe ich bereits innerhalb sehr kurzer Zeit Wege gefunden – und bin jeden Tag erneut herausgefordert, Wege zu finden – mit der menschlichen Vielfalt umzugehen. Doch das kann ich nur auf der Grundlage, dass ich sie als mir ebenbürtige und zu achtende Gegenüber erkenne, die selbst viele Stärken haben und von denen ich selbst viel lernen kann. Die Grenze, die ich früher zwischen „ihnen“ und mir fühlte, ist verschwunden. Meine Unsicherheit war unbegründet, und doch irgendwo natürlich und berechtigt. Dennoch hätte ich die Angst nie überwinden können, wenn ich sie nicht als Herausforderung betrachtet hätte.

Ich verstehe das Späherziel und unsere Grundsätze so, dass das Trennende, diese Hindernisse, für uns eine konstante Herausforderung darstellen, der wir nicht mit Ratlosigkeit, Angst und Verzweiflung entgegentreten sollen, sondern mit Mut, Entschlossenheit und Zuversicht. Lasst uns anstreben, Späher nach dem Vorbild Kalebs zu sein, die auf Gottes Weg und Weisung völlig vertrauen und uns von dem Geist der Liebe und Besonnenheit und Furchtlosigkeit leiten lassen. Lasst uns nicht zurückschrecken vor dem Unbekannten, sondern hinaus in die Welt ziehen. Lasst uns im Leben mehr wagen und uns anderen gegenüber öffnen, die Geheimnisse des Lebens ohne Vorbehalte erkunden, mit der Zusage Gottes, wie wir ins in den Psalmen finden, dass er unseren Grenzen Frieden schafft (Ps. 147,14), während wir Pfade suchen und finden.

(Bildquelle: http://www.freebibleimages.org/illustrations/moses-spies/)