1. Was muss man beachten, wenn man über „Homosexualität“ redet?

Der Begriff „Homosexualität“ wurde erstmals 1868 vom Schriftsteller Karl Maria Kertberny eingeführt. Er setzte ihn aus den griechischen Wort für „gleich“ (homo) und dem lateinischen Wort „sexus“ (Geschlecht) zusammen. Gemeint waren damit sexuelle Handlungen zwischen zwei Menschen desselben Geschlechts sowie das Empfinden von romantischen Gefühlen gegenüber dem selben Geschlecht. Das Gegenteil dazu bildete das ebenfalls neu geschaffene Wort „Heterosexualität“.

Außerdem ist wichtig zu beachten, das der Begriff „Homosexualität“ oft mehrdeutig verwendet wird: Er beschreibt teilweise rein sexuelle Handlungen, sexuelle Anziehung aber auch die gleichgeschlechtliche Orientierung sowie Liebesbeziehungen und Partnerschaften. Auf Englisch unterscheidet man zwischen „sex“ (biologisches Geschlecht) und „gender“ (soziales Geschlecht). Falls ihr Fragen zu den ganzen Bedeutungen habt: Das Baden-Württembergische Sozialministerium hat 2015 das „Lexikon der kleinen Unterschiede – Begriffe zur sexuellen und geschlechtlichen Identität“ herausgegeben, das ihr kostenlos im Internet finden könnt.

2. In welchen Bibelstellen wird Homosexualität erwähnt?

Wie eben beschrieben stammt der Begriff „Homosexualität“ erst aus dem 19. Jahrhundert. Dementsprechend ist es schwierig über „Homo-sexualität“ zu reden, wenn man Texte liest, die viele hunderte und teilweise sogar tausende von Jahren älter sind und dazu in Kulturen entstanden sind, in denen das heutige Konzept von „Homosexualität“ nicht vorhanden war.

Dennoch gibt es einige Bibelstellen, die sexuelle Handlungen zwischen gleichgeschlechtlichen Partner, oft aus einer ethischen Perspektive, ansprechen. Diese Stellen erstrecken sich über den ganzen biblischen Kanon: Einige befinden sich zum Beispiel im Gesetz Moses im Alten Testament, andere in den Briefen des Paulus im Neuen Testament. Außerdem gibt es einige Stellen, die nicht eindeutig von homosexuellen Handlungen sprechen, aber häufig in die Richtung interpretiert werden wie die Geschichte von Sodom oder von David und Jonathan.

Wenn es um das Heranziehen von Bibeltexten zur ethischen Bewertung von Handlungen geht, ist es besonders bei diesem Thema wichtig zu beachten: Es gibt sehr wenige Bibelstellen, deren Auslegung ist umstritten und ihre Relevanz für heute ist nicht eindeutig geklärt!

> Genesis 19: Sodom und Gomorrha (vgl. auch Richter 18: Gibea)

Ein Kapitel im ersten Buch Mose erzählt, wie zwei männliche Gottesboten den Neffen Abrahams (Lot) in der Stadt Sodom besuchen. Nachdem sie dort eintreffen, werden sie von den Einwohnern Sodoms bedroht, die sie vergewaltigen wollen. Lot sagt, dies sei ein Verbrechen und bietet ihnen stattdessen seine jungfräulichen Töchter an. Daraufhin bedrohen die Einwohner auch Lot. Die Gottesboten schützen jedoch Lot und seine Familie und helfen ihnen aus der Stadt zu fliehen. Am nächsten Tag zerstört Gott die Stadt. Aus dem Gespräch, was er zuvor mit Abraham führte, geht heraus, dass anscheinend in der Stadt keine zehn Gerechten zu finden waren. In Richter 18 befindet sich eine fast identische Geschichte. Früher wurden die Texte oft so ausgelegt, dass die gängige homosexuelle Praxis („Sodomie“) in der Stadt Ursache für ihre Zerstörung und die Strafe Gottes war.

Allerdings geht man heute vor allem davon aus, dass Thema des Textes vor allem die Verletzung des altorientalischen Gastrechts durch sexuelle Gewalt an. Die Sodomiter hatten eine Vergewaltigung an den Besuchern vor, wodurch diese zu einem Sexualobjekt reduziert, entmündigt und gedemütigt worden wären. Zu den damaligen Zeiten kam die Vergewaltigung heterosexueller Männer zur Erniedrigung von Feinde öfters vor. Die Straftat, die Sodom und ebenfalls Lot durch sein Angebot begeht, ist somit ein gegen Gott gerichtetes gewaltsames sexuelles Handeln. Durch das Einschreiten der Gottesboten wird die Rechtsordnung Gottes jedoch schließlich erhalten und so auch Lots Töchter gerettet.

> Levitikus 18 und 20: Gesetz Mose

Das Buch Levitikus ist das dritte Buch Mose und somit das dritte Buch des Alten Testaments. Darin enthalten sind sehr viele Gesetze, die das Volk Israel nach der Offenbarung am Sinai erhalten haben soll. Diese Gesetze sind während dem babylonischen Exil (im 6. Jh. v. Chr.) entstanden. So konnten sich die verschleppten Israeliten von den „Völkern“ der polygamen Umgebung differenzieren und durch ihre Religion eine Identität wahren.

Beide Stellen (Lev 18, 22 und Lev 20,13) verbieten, dass ein Mann mit einem Mann wie bei einer Frau liegt, also den Geschlechtsverkehr unter Männern. Die Bibelverse vorher und nachher führen auch noch andere sexuelle Straftaten auf wie Inzest oder den Geschlechtsverkehr mit Tieren, die unter der Todesstrafe stehen. Der Geschlechtsverkehr zwischen zwei Männern, genau wie diese anderen Handlungen, wird hier als „Gräuel“ bezeichnet. Damit ist eine von anderen Völkern übernommene Kultpraktik (bestimmte Handlungen, die zur Verehrung von Göttern dienen) gemeint und wird als eine Form von Verehrung fremder Götter abgelehnt.

Außerdem gibt es nach jüdischer Vorstellung sehr strenge Geschlechter-rollen. Durch die gleichgeschlechtliche Sexualpraxis begibt sich ein Mann in die Rolle einer Frau, was sich nicht gehört.

Das Volk Israel sieht sich als das auserwählte Volk Gottes an, dem ihr Gott bestimmte Regeln offenbart hat, wie es sich rein halten muss. Diese Reinheit kommt dadurch, dass sie alleine den Gott „JHWH“ verehren und sich in ihren (auch sexuellen) Handlungen von den umliegenden Völkern unterscheiden. Nach dieser Logik musst das Unreine aus dem Volk ausgeschlossen oder vernichtet werden, deswegen soll getötet werden, wer diese Straftaten begeht.

> 1. Samuel 16 bis 2. Samuel 8: David und Jonathan

In der Geschichte vom Aufstieg Davids und seiner Legitimierung als König von Israel ohne Abstammung des vorigen König Sauls spielt sein Freund Jonathan, Sohn Sauls und Thronanwärter, eine große Rolle. Erzählungen über das enge persönliche Verhältnis sowie das politische Bündnis zwischen ihnen nehmen in der Erzählung viel Raum ein. Zum Beispiel wird gesagt, dass Jonathan David wie sein eigenes Leben liebte und ihm all seine Kleidung und seine Waffen schenkte (1.Sam 18,1-4). In der Totenklage Davids sagt er: „Weh ist mir um dich, mein Bruder Jonathan. Du warst mir sehr lieb. Wunderbarer war deine Liebe für mich als die Liebe der Frauen.“ (2. Sam 1,26).

Seit Beginn des 20. Jahrhunderts begannen einige Autoren diese Verse so zu deuten, dass eine romantische und sexuelle Beziehung zwischen David und Jonathan stattgefunden habe. Das lag vor allem an dem direkten Vergleich zwischen der Männer- und Frauenliebe. Dass dieses sexuelle Verhalten stark von der Thora abweicht, ließe sich damit begründen, dass die benachbarten Völker, vor allem die Philister, starken Einfluss auf die Sexualnormen des israelitischen Hof hatten und somit Homosexualität nicht als anstößig wahrgenommen wurde.

Allerdings gibt es auch starke Gegenstimmen, die betonen, dass weder sexuelle Motive noch die übliche Sprache, die in Verbindung mit sexuellen Handlungen steht, verwendet wird. Die meisten Wissenschaftler gehen nicht von einer homosexuellen Beziehung aus, sondern sehen die starke und bereichernde Freundschaft zweier Helden, über die das Volk Israel mit seiner Sexualnorm nichts Anstößiges zu berichten wusste.

> Was sagte Jesus? Die Evangelien

Für die ersten christlichen Gemeinden war in Ethik die Haltung von Jesus entscheidend. Allerdings wird in keinem Evangelium und auch sonst nur in drei neutestamentlichen Schriften Homosexualität erwähnt.

Dies wird in zwei verschiedene Richtungen gedeutet:

1) Für Jesus war eindeutig, dass die Thora und die darin enthaltene Sexualnorm gültig war und thematisierte diese deshalb gar nicht erst. Er war sich in der Ablehnung homosexueller Praxis mit den damaligen Juden in Palästina einig. Wenn Jesus Homosexualität gut geheißen hätte, wäre dies in einem Streitgespräch in den Evangelien berichtet worden.

2) Für Jesus spielt Homosexualität theologisch keine Rolle, sonst hätte er dazu explizit Stellung genommen. Andererseits richtet er sich gerade an die sozial schwach gestellten und von der Gesellschaft ausgeschlossenen Menschen, die damals auch religiös verdammt wurden. Daraus kann man entnehmen, dass er auch die homosexuelle Minderheit nicht verdammt hätte. Außerdem stellt er das Doppelgebot der Liebe, welches das Gebot der Nächstenliebe, mit einschließt über alle anderen Gebote der Thora.

Es gibt im Zusammenhang mit Jesus zwei Bibelstellen, die in der Diskussion über gleich-geschlechtliche Beziehungen oft aufkommen:

1) Mk 7, 15-22: Hier spricht Jesus die jüdischen Speisegesetze an. Er sagt, dass nicht das den Menschen unrein macht, was er an Nahrung zu sich nimmt, sondern das, was aus dem Menschen herauskommt, ihn unrein macht. Er erklärt das Gleichnis später seinen Jüngern und zählt dabei Beispiele von bösen Taten auf, die aus dem Menschen und seinem Herzen und seinem bösen Herzen entstammen, darunter Unzucht, Diebstahl, Mord, Ehebruch, Habgier, Lästerung, Hochmut und Unvernunft. „Unzucht“ (porneia) kann hier jede Form von sexueller Handlung außerhalb der heterosexuellen Einehe meinen, um sich von den liberalen Sexual-praktiken im römischen Reich abzugrenzen. Allerdings ist umstritten, was genau mit der Stelle gemeint ist und wie viel davon wirklich von Jesus selbst stammt.

2) Mk 10, 1-12: Hier antwortet Jesus einem Pharisäer auf seine Frage nach der Ehescheidung. Jesus bezieht sich in seiner Antwort auf die Schöpfungsordnung und die Schaffung des Menschen als Mann und Frau, die vereint und nicht mehr getrennt werden sollen. Durch ein Verbot der Ehescheidung wie sie bei Moses vorgesehen ist, werden jüdische Frauen vor der Willkür der Männer und einer sozialen Notlage bewahrt. In Bezug auf diese Stelle argumentieren viele Wissenschaftler, dass ausschließlich die heterosexuelle Ehe von Gott nach seiner Schöpfungsordnung erwünscht sei. Andererseits schließt eine positive Darstellung der heterosexuellen Ehe nicht automatische andere Formen der menschlichen Beziehungen aus.

> Was sagte Paulus? Die neutestamentlichen Briefe

Nach Jesus selbst ist vor allem Paulus als Begründer vieler christlicher Gemeinden in ersten Jahrhundert eine Autoritätsperson. Neben den Evangelien nehmen seine Briefe sehr viel Platz im Neuen Testament ein. In drei seiner Briefe wird das Thema Homosexualität kurz angesprochen, in anderen Texten kann ein Zusammenhang interpretiert werden. Hier sind zwei Beispiele:

1) 1. Kor 6,9: Hier schreibt Paulus, dass bestimmte Personengruppen nicht das Reich Gottes erben werden, dazu gehören auch „Lustknaben“ und „Knabenschänder“, auf Griechisch „malakoi“ (Weichlinge), „arsenokoites“ („mit-Männern-Lieger“). Hierbei geht es erneut um die Ablehnung der Sexualpraktiken der römisch-heidnischen Umwelt, in denen sich der gleichgeschlechtlicher Sexualverkehr zwischen Herren und Sklaven oder im Bereich der männlichen und teilweise kultischen Prostitution vollzog. Deshalb ist hier auch jeweils von einem passiven und einem aktiven, dominanten Partner die Rede. Daher ist es schwierig, diese Bibelstelle auf die heutige monogame, von Liebe und gegenseitigem Einverständnis geprägte Beziehung zweier mündigen Männer zu beziehen.

2) Röm 1,26: Dieser Brief richtet sich an eine verfolgte Gemeinde, die aus Christen besteht, die zuvor nicht Anhänger des jüdischen Glaubens waren. Er beschreibt darin, dass Menschen, die sich bewusst gegen Gott entscheiden, sein Gericht auf sich ziehen. Weil die Menschen sich Idole suchten und somit die Schöpfung vergötterten statt ihren Schöpfer, hat Gott diese Menschen ihren unnatürlichen Leidenschaften überlassen. Es besteht also für Paulus einen direkten Zusammenhang zwischen den homosexuellen Handlungen der Griechen und Römer, ihrer Ablehnung Gottes und ihrer Verehrung fremder Götter. Paulus spricht hier also weder homosexuelle Christen an noch geht er von eheähnlichen monogamen Beziehungen aus, wie sie heute vorhanden sind. Manche Theologen argumentieren jedoch, dass Paulus die Homosexualität als Abkehr von der Schöpfungsordnung und der Gottebenbildlichkeit des Menschen versteht und somit ablehnt.

3. Welche Einstellungen haben die Kirchen zu Homosexualität?

Ein einheitliche Meinung über Homosexualität und ihre ethische Vertretbarkeit gibt es innerhalb der christlichen Glaubensgemeinschaften sowie zwischen den einzelnen Kirchenmitgliedern nicht. Außerdem vertritt nicht automatisch jeder Anhänger einer bestimmten Konfession auch die von der Kirche als Institution vertretene Meinung. Allerdings gibt es von einigen Kirchen öffentliche Stellungsnahmen oder Äußerungen, woraus man eine Grundtendenz dieser Gruppierungen entnehmen kann.

In manchen Kirchen wird ausgelebte Homosexualität auf Grundlage der oben genannten und zusammengefassten Bibelstellen als Sünde betrachtet und grundsätzlich abgelehnt. Dazu gehören vor allem Vertreter der römisch-katholischen Kirche, der orthodoxen Kirchen, unter den Protestanten viele evangelikale oder pfingstlerische Gruppen. Hier zwei Beispiele für Stellungsnahmen:

Die katholische Kirche sagt, dass diese Ablehnung sich ausschließlich gegen die Auslebung homosexueller Empfindungen und homosexuelles Handeln richtet, ohne mit der Ablehnung der betroffenen Person selbst einherzugehen. Sie erkennen die Gleichwertigkeit dieser Menschen als Geschöpfe Gottes an, fordern jedoch die Abstinenz oder das Eingehen in eine heterosexuelle Ehe, der einzige legitime und von Gott gewünschte Rahmen zur Auslebung von sexuellen Neigungen. Sie lehnen einen von homosexueller Partnerschaft geprägten Lebensentwurf ab, weil der Mensch sich damit gegen die göttliche Schöpfungsordnung stellt und selbst nicht im Abbild Gottes zum Erhalt des Lebens beiträgt. Deshalb spricht sich die katholische Kirche genauso gegen die geschlechtliche Vereinigung außerhalb der Ehe, Verhütung und Abtreibung aus.

Die orthodoxen Kirchen werten homosexuelle Tendenzen ebenbürtig mit anderen sündhaften Begehren des Menschen, von denen jeder betroffen ist und gegen die jeder ankämpfen soll. Die Tendenz selbst nicht, aber die Auslebung derselben wird als sündhaft empfunden. Orthodoxe Christen tragen Verantwortung für die Lehren und die Praxis der gesamten Kirche, daher kann ein Kirchenmitglied, das homosexuelle Handlungen befürwortet, nicht an Sakramenten z.B. der Kommunion teilnehmen. Dennoch setzten sich die orthodoxen Kirchen für eine zivilrechtliche Gleichstellung von Homosexuellen ein und sprechen sich gegen Hass und Gewalt aus, was nicht vereinbar mit der Lehre Jesu sei. Die Priester der Kirche sind dazu aufgefordert, Menschen mit homosexuellem Empfinden seelsorgerisch zur Seite zu stehen.

Die LGBT-Bewegungen im den vergangenen Jahrzehnten haben immer mehr dazu geführt, dass sich die Kirche mit den neuen Erkenntnissen der Humanwissenschaften auseinandergesetzt hat. Dadurch ist in manchen Kirchen eine Distanzierung zu den traditionellen ethischen Beurteilung, dem Umgang mit Homosexualität und deren Stigmatisierung erfolgt. Heutzutage gibt es einige christliche Kirchen, die Homosexualität akzeptieren und gleichgeschlechtliche Beziehungen mit heterosexuellen gleichsetzen. Daher ist mittlerweile in manchen Kirchen eine Segnung oder auch die Heirat gleichgeschlechtlicher Paare möglich. Dazu gehören vor allem protestantische Kirchen wie die Evangelische Kirche in Deutschland, aber ebenso die Alt-Katholische Kirche und die Metropolitan Community Church als Dachverband einiger evangelischer Freikirchen weltweit.

Die EKD hat sich seit den 80er Jahren intensiv mit der Thematik Homosexualität und sich den daraus ergebenden Fragestellungen für das praktische Zusammenleben in der Kirche beschäftigt. Ihre Bibelauslegung orientiert sich jedoch an Luthers Grundsatz, Jesus Christus selbst als Offenbarung und Wort Gottes als „Mitte der Schrift“ zu betrachten. Die Bibel wird wertvoll dadurch, dass diese Offenbarung in ihr als Glaubensbekenntnis festgehalten wurde, als „Gotteswort in Menschen-wort“. Das heißt, dass man davon ausgeht, dass es zentrale Prinzipien in der Bibel gibt, mit denen man einzelne Aussagen relativieren kann, wenn sie diesen Prinzipien nicht entsprechen.

Die EKD erkennt an, dass die wenigen vorhandenen Bibelstellen sich ausschließlich negativ über die homosexuelle Handlungen äußern. Dass Homosexualität nur ein Nebenthema in der Bibel ist und in den Erzählungen über Jesus keine Rolle spielen, kann diese Tatsache nicht aufheben. Homosexuelle Praxis wird im gesamtbiblischen Kanons als Abweichung vom ursprünglichen Schöpferwillen gewertet. Jedoch hebt die EKD in ihrer Stellungsnahme hervor, dass konsequenterweise die Frage nach einer ethischen verantwortlichen Gestaltungen einer von Liebe geprägten homosexuellen Beziehung im Horizont des Evangeliums keine Beachtung findet. Das Liebesgebot hat jedoch zentrale Bedeutung im Alten sowie im Neuen Testament hat: Es wird dort als Inbegriff des heil-samen Willen Gottes sowie Erfüllung des Gesetzes gedeutet.

Angesichts des von Jesus verkündigten Evangeliums und seiner Zusage an alle Menschen bedeutet das: Homosexualität ist kein Ausschlusskriterium aus der Gemeinschaft Gottes. Die negativen Aussagen in der Bibel beziehen sich auf homosexuelle Praxis als Abkehr von Gott, jedoch nicht auf in Liebe zu Gott und den Menschen verantwortungsvoll gelebte Beziehung, wie sie heute auch zwischen zwei Partnern des gleichen Geschlechts stattfinden. Daher bejaht die EKD die ethische Gestaltung solcher Beziehungen gemäß dem Willen Gottes und dem Liebesgebot, insofern dem Betroffenen das „Charisma“ sexueller Enthaltsamkeit nicht gegeben ist. Die Kriterien, die für Ehe und Familie gelten, sollen auch hier beachtet werden: Freiwilligkeit, Ganzheitlichkeit, Verbindlichkeit, Dauer und Partnerschaftlichkeit.

Auf Landeskirchlicher Ebene wird entschlossen, ob gleichgeschlechtliche Paare gesegnet werden sollen und ob das im Rahmen von Andacht, Gottesdienst oder Seelsorge stattfindet. Die evangelische Kirche im Rheinland hat Januar 2016 beschlossen, dass auch die Trauung von gleichgeschlechtlichen Paaren mit eingetragener Lebenspartnerschaft möglich ist. Ihre Beziehung soll eine dauerhafte von Liebe, Fürsorge und Verlässlichkeit geprägte Lebensgemeinschaft darstellen, die idealerweise auch die heterosexuelle Ehe charakterisieren.

4. Zusammenfassung

Bei der Bibelauslegung ist zu beachten, dass das Konzept von biologisch veranlagter Homosexualität nicht vorhanden war und auch dieser Begriff nicht existierte. Die heutigen humanwissenschaftlichen Erkenntnisse fordern uns dazu auf, uns differenziert mit dem Thema auseinander-zusetzen. Die biblischen Quellen zum Thema sind rar und äußern sich ausschließlich negativ über homosexuelle Praktiken. Allerdings dienen diese vereinzelte Ausdrücke von Ablehnung zur Abgrenzung der damaligen Juden und den daraus entstandenen ersten christlichen Gemeinden von der polytheistischen, heidnischen Umwelt, bei denen Praktiken wie der sexuelle Verkehr mit Tieren, Sklaven und Minderjährigen sowie Tempelprostitution üblich waren.

Je nachdem, welche hermeneutischen Grundlagen zur Auslegung dieser Bibelstellen angewandt wird, nehmen die Kirchen unterschiedliche Stellungen zur heutigen homosexuellen Praxis ein. Diese können zwischen Verurteilung von Homosexualität als Sünde und damit verbunden zu sakramentalem Ausschluss bis hin zur Einführung von Trauung gleichgeschlechtlicher Paare in der Kirche reichen. Theologisch bedeutend in der Ablehnung von Homosexualität ist die göttliche Schöpfungs-ordnung, die den Menschen als Mann und Frau darstellt, der in seiner Vereinigung selbst zur Schöpfung und Lebenserhaltung beiträgt.

Die EKD befürwortet die Möglichkeit einer der Ehe entsprechenden Paarbeziehung, insofern die Betroffenen sich nicht zur Ehelosigkeit berufen fühlen. Die Frage, wie eine auf Dauer angelegte, verantwortungsvolle, in Liebe dem Menschen und Gott zugewandten Beziehung zwischen zwei Menschen des selben Geschlechts im Sinne des doppelten Liebesgebots gestaltet werden kann, bleibt in Anbetracht der biblischen Quellen offen.

5. Persönliches Schlusswort

Ich denke, zuletzt muss sich jeder bewusst machen, wie viel Unrecht Christen in der Vergangenheit Menschen, die sich aufgrund ihrer sexuellen Orientierung von der Mehrheit unterscheiden, durch Stigmatisierung und Gewalt angetan haben. Doch als Christen mit unserem Vorbild in Jesus von Nazareth sind wir zur Liebe berufen: Mit Respekt und Wertschätzung der Menschenwürde müssen wir jedem als Geschöpf Gottes entgegenkommen. Herablassend über andere Menschen und ihre Gefühle zu urteilen, steht uns nicht zu.

Und was denkst du?