Diese Andacht wurde im Rahmen einer Späheraufnahme auf dem Bundeslager 2016 zur Speisung der Fünftausend (Mk 6,30-44 par) gehalten und orientierte sich an dem im Vorfeld geführten Spähergespräch.
Und die Apostel kamen bei Jesus zusammen und verkündeten ihm alles, was sie getan und gelehrt hatten. Und er sprach zu ihnen: Geht ihr allein an eine einsame Stätte und ruht ein wenig. Denn es waren viele, die kamen und gingen, und sie hatten nicht Zeit genug zum Essen. Und sie fuhren in einem Boot an eine einsame Stätte für sich allein.
Und man sah sie wegfahren, und viele merkten es und liefen aus allen Städten zu Fuß dorthin zusammen und kamen ihnen zuvor. Und Jesus stieg aus und sah die große Menge; und sie jammerten ihn, denn sie waren wie Schafe, die keinen Hirten haben. Und er fing eine lange Predigt an.
Als nun der Tag fast vorüber war, traten seine Jünger zu ihm und sprachen: Es ist öde hier und der Tag ist fast vorüber; lass sie gehen, damit sie in die Höfe und Dörfer ringsum gehen und sich Brot kaufen.
Er aber antwortete und sprach zu ihnen: Gebt ihr ihnen zu essen!
Und sie sprachen zu ihm: Sollen wir denn hingehen und für zweihundert Silbergroschen Brot kaufen und ihnen zu essen geben?
Er aber sprach zu ihnen: Wie viel Brote habt ihr? Geht hin und seht!
Und als sie es erkundet hatten, sprachen sie: Fünf und zwei Fische.
Und er gebot ihnen, dass sie sich alle lagerten, tischweise, auf das grüne Gras. Und sie setzten sich, in Gruppen zu hundert und zu fünfzig. Und er nahm die fünf Brote und zwei Fische und sah auf zum Himmel, dankte und brach die Brote und gab sie den Jüngern, damit sie unter ihnen austeilten, und die zwei Fische teilte er unter sie alle. Und sie aßen alle und wurden satt. Und sie sammelten die Brocken auf, zwölf Körbe voll, und von den Fischen. Und die die Brote gegessen hatten, waren fünftausend Mann.
Diese Geschichte von der Speisung den Fünftausend, wie wir sie im Markusevangelium finden, habe ich das erste Mal an Rahels vierzehnten Geburtstag in ihrer Sippenstunde gehört. Das Interessante an der Geschichte ist, dass wir nicht genau wissen, wie das Wunder funktioniert hat, nur dass eines stattgefunden hat. Ich weiß noch, dass Rahel damals erklärte, dass es in der Geschichte ums Teilen ginge. Als die Menschen sahen, dass das Wenige, was es dort gab, nicht ausreichte, brachte jeder seinen eigenen Proviant hervor und alles wurde unter einander geteilt, sodass am Ende auch jeder Letzte satt war. Schon allein diese Vorstellung weckt Vorstellungen von Harmonie und friedlichem Miteinander. Sie enthält tatsächlich viel Wundersames, wenn man nur kurz einen Moment innehält und an all die Schrecken denkt, die mittlerweile täglich die Nachrichten fluten. Wo auf der Welt findet man fünftausend friedlich und sich wohlgesonnene Menschen auf einem Fleck, die gewillt sind, ihren Egoismus einen kurzen Augenblick lang zu überwinden und das wenige, was sie haben, dem Wohl der Gemeinschaft zu opfern? Nicht einmal in Taizé, bei Weitem einen der friedlichsten Orte, an denen ich bisher einkehren durfte, konnte man die Kirche betreten, ohne sich einer Taschenkontrolle entziehen zu können. Selbst dort wurden inzwischen Sicherheitsvorkehrungen getroffen. In dieser Geschichte steckt also zunächst einmal ein Wunder sozialer Natur. Uns wird gezeigt, dass durch die Lehre Jesu, welche die Menschenmenge zuvor empfängt, wir gemeinsam viel mehr erreichen können, als zunächst denkbar gewesen wäre. Wir werden zur Solidarität aufgefordert.
Der Bericht ist aber auch offen für andere Interpretationsansätze. Ich denke, dass Jesus sich hier als der Gott offenbart, der für seine Menschen Sorge trägt. Der Gott, der im Johannesevangelium von sich selbst behauptet, er sei das Brot der Welt und der Mensch lebe von seinem Wort. Der Gott, der schon im ersten Kapitel der Bibel im allerersten Buch der Bibel auftritt und von Schöpfung an den Menschen versorgt. Kurz darauf wird die Geschichte von der Opferung Isaaks, dem Sohn Abahams, berichtet. Doch hier greift Gott ein: Er verhindert den Tod Isaaks mit dem Versprechen, selbst für ein Opfer zu sorgen. Da erscheint auch schon ein Widder, der an die Stelle des Opfers tritt.
Ebenso begleitet Gott das Volk Israel auf seinem Weg durch die Wüste, nachdem sie aus der Gefangenschaft und Sklaverei in Ägypten entkommen konnten – und Gott versorgt sie mit Manna, knuspriges Brot mit dem Geschmack von Honigkuchen, das nachts vom Himmel fällt, um morgens aufgesammelt zu werden. Völlig egal, wie sehr die Israeliten auch murrten und am Glauben zweifelten, so konnten sie sich jeden Tag genug Manna sammeln, um satt zu werden. Doch jeder durfte nur so viel einsammeln, wie er für den Tag brauchte, ansonsten verdarb es. Gott zeigte seinem Volk so, dass er sie nicht im Stich ließe und alles Lebensnotwendige zur Verfügung stellte. Jeden Tag aufs Neue und vor allem so viel wie gebraucht wurde.
Diese Geschichten haben alle eins gemeinsam: Sie fordern immer wieder das Vertrauen der Gläubigen heraus. Bei der Speisung der vier- oder fünftausend tut Jesus das selbe: Er fordert seine Jünger in dem Vertrauen darauf, das es für alle reichen wird, auf, das Brot und den Fisch an die hungrige Menschenmasse zu verteilen. Immer wieder wird in diesen Geschichten das Vertrauen in Gott belohnt – und so ist es auch hier der Fall: Es bleibt tatsächlich mehr übrig, als zu Beginn da war!
Die zwölf übrigen Brote haben natürlich auch einen symbolischen Gehalt: Zwölf ist eine Zahl der Vollständigkeit in der Bibel. Es gab zwölf Stämme Israels, sie machten das gesamte Volk aus. Nichts sollte beim Essen verloren gehen, so sollte auch keiner, der zum Gottesvolk gehörte, verloren gehen. Gottes Fürsorge richtet sich an alle.
Diese Geschichte handelt natürlich von mehr als vom körperlichen Sattwerden – was könnten wir in unserer heutigen Wohlstandsgesellschaft sonst noch aus ihr lernen?
Diese Geschichte gibt uns Hoffnung: Hoffnung, dass trotz Momenten, in denen wir das Gefühl haben, dass uns etwas fehlt, wir doch die Fülle des Lebens immer wieder in Gemeinschaft erleben dürfen. Dass selbst wenn wir die Orientierung verloren haben, wie ein Schaf ohne Hirte, wir doch Geborgenheit finden können, in dem Gedanken, dass Gott uns versorgt.
Diese Geschichte schenkt uns Trost: Wenn wir in unseren fast leeren Händen nur ein bisschen Brot und Fisch entdecken, so können wir, wenn wir doch etwas Vertrauen wagen, über unsere eigenen Grenzen hinauswachsen. Wenn wir investieren, was uns zur Verfügung steht, so wird es doch, so Gott es will, immer reichen.
Diese Erzählung ermutigt uns umzudenken: Weg von dem, was fehlt, hin zu dem, was wir bieten können, was wir mit anderen teilen und vermehren können, hin zu dem, was wir geben können. Denn letztlich sagt uns diese Geschichte: So wie du hier jetzt stehst, bist du genug. Auch wenn du vor einer hungrigen Menschenmasse stehst und viertausend leere Magen knurren hörst und in deinen Händen nur ein paar Brotkrummen sind, bist du genug. Denn der Mensch lebt nicht von Brot allein.
So wie du bist, mit all deinen Schwächen und all deinen Stärken wirst du angenommen und geliebt, genau so, wie du bist, reichst du völlig aus, um in die Welt hinauszugehen. Denn an deiner Seite ist der Gott, der die Seinen nie verlassen hat, der seine schützende Hand über dich hält und dein Leben lang für dich Sorge tragen wird.
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