Was sagen die Schöpfungsberichte über das Verhältnis von Mann und Frau aus?

Dom von Orvieto, die Erschaffung Evas

Dom von Orvieto, die Erschaffung Evas

Welche Positionen gibt es?

Wie das richtige Verhältnis der Geschlechter biblisch betrachtet aussieht, ist eine in theologischen Kreisen vieldiskutierte Frage mit umfassenden historischen Wurzeln. Von daher will ich mich hier auf die Erörterung und Erklärung der zwei in evangelischen Kreisen hauptsächlich vertretenen Positionen beschränken. Obwohl die Frage womöglich für deine persönliche Lebensführung nicht besonders viel Relevanz hat, kann es sinnvoll sein, sich mit den Positionen vertraut zu machen, um ein Verständnis für deren Herkunft zu gewinnen und somit dialogfähig zu werden. Denn von der Frage, ob Mann und Frau von ihrem Wesen sowie von ihrer Funktion her gleichgestellt sind, sind auch oft politische Positionen der Geschlechtervielfalt abhängig: Dürfen gleichgeschlechtliche Paare heiraten? Wer darf Kinder adoptieren? Wer entscheidet über das Geschlecht von Kindern, die keine eindeutigen geschlechtlichen Merkmale haben – und hat diese Entscheidung eine Deadline?

Die zentrale Frage, die sich anhand biblischen Texte stellt, ist folgende: Sind Mann und Frau sowohl in ihrem Wesen als auch in ihrer Funktion völlig gleich? Zu dieser Frage werden hauptsächlich zwei Positionen eingenommen:

  1. Der komplementäre Ansatz besagt, dass Frauen und Männer als Abbilder Gottes ihrem Wesen nach gleichwertig sind, jedoch aufgrund geschlechtsspezifischen Unterschiede auch unterschiedliche Funktionen erfüllen und Aufgaben übernehmen. Der Begriff „komplementär“ beschreibt, dass Mann und Frau als sich ergänzend geschaffen angesehen werden. Spezifische, gegenseitige Geschlechtsmerkmale dienen zur gegenseitigen Ergänzung und somit zur Vervollständigung des jeweils anderen. Der Mann ist wie im traditionellen Patriarchat der „Kopf“ (Eph 5) der Familie und hat Autorität in der Kirche. Dennoch unterscheidet sich diese Ansicht insofern vom traditionellen Patriarchat, dass die Gleichwertigkeit von Mann und Frau bejaht wird und der Ansatz ihre jeweilige Bedeutung für Gelingen des gesellschaftlichen Zusammenlebens betont.

  2. Der egalitäre Ansatz geht davon aus, dass die Bibel die patriarchalen Verhältnisse als zwar faktisch vorhanden, jedoch nicht als von Gott geschaffenes Ideal, reflektiert. Sowohl Frauen als auch Männer sollen gemäß ihren Gaben Verantwortung in der christlichen Gemeinde übernehmen und gewürdigt werden. Eine normative, auf Geschlecht basierende Hierarchie ist nicht vorgesehen und steht im Widerspruch zur Menschenwürde. Der Begriff egalitär betont die völlige Gleichheit sowie Gleichwertigkeit aller Menschen. Die Unterschiedlichkeit aller Menschen wird von dieser Position nicht verleugnet, sondern bekräftigt – jedoch im geschlechtsunabhängigen komplementären Charakter menschlicher Diversität. Aus dieser Vielfalt kann keine Norm abgeleitet werden, vielmehr ist Unterschiedlichkeit die Norm.

Was sind die Grundlagen für die Positionen?

Grundlage für beide Positionen sind diverse alt- und neutestamentliche Texte, ihre Interpretation fällt jedoch unterschiedlich aus. Besonders gewichtig sind in diesem Kontext die Schöpfungsberichte, die wir uns genauer ansehen wollen. Dabei gibt es ein paar grundlegende Regeln, die zu beachten sind: Der literarische, kulturelle und geschichtliche Kontext von Aussagen muss beachtet werden. Nur weil jemand spezifisch genannt wird, heißt dass nicht, dass er exklusiv gemeint ist: Wenn ein Lehrer sagt, dass ein Schüler leise sein soll, dann sollen natürlich alle anderen genauso ruhig sein. Was explizit da steht fällt stärker ins Gewicht als das, was nur interpretiert und hergeleitet werden kann. Präskriptive Sprache ist stärker als deskriptive: Eine Beschreibung hat nicht automatisch einen normativen Charakter.

Die ersten drei Kapitel in der Bibel (Erstes Buch Moses, Genesis „vom Ursprung) berichten von der Schöpfung der Welt, des Menschen sowie seinem Sündenfall:

a. Erster Schöpfungsbericht (Gen 1,1-2,4a)

Und Gott sprach: Lasst uns Menschen (אדם ‚adam) machen als unser Bild, uns ähnlich. Und sie sollen herrschen über die Fische des Meers und über die Vögel des Himmels, über das Vieh und über die ganze Erde und über alle Kriechtiere, die sich auf der Erde regen. Und Gott schuf den Menschen als sein Bild, als Bild Gottes schuf er ihn; als Mann und Frau schuf er sie.“ (Genesis 1, 26f.)

Dieser Bericht ist eine poetische Beschreibung des Schaffungsprozesses der Welt nach dem Gottes Entwurf in sechs Tagen. Er schafft die Menschheit gleichzeitig in männlicher und weiblicher Form und überträgt ihr kollektiv die Herrschaft über die restliche Schöpfung. In Bezug auf die Geschlechter lässt sich beobachten, dass kein Unterschied zwischen Mann und Frau (weder in Wesen noch Funktion) gemacht wird: Sie werden gemeinsam geschaffen und bekommen die selbe Verantwortung übertragen.

Das Wort ‚adam kann im Hebräischen drei verschiedene Bedeutungen haben: der Eigenname „Adam“, „der Mann“ oder auch „Menschen“. Obwohl sich „sie“ im letzten Vers auf adam (m. sg.) bezieht, wird hier generisch ins Plural übersetzt, da es sich auf die gesamt Menschheit als Art bezieht, nicht einen Mann.

b. Zweiter Schöpfungsbericht (Gen 2,4b-25)

Zur Zeit, als der HERR Erde und Himmel machte, da bildete der HERR, den Menschen (האדם ha’adam) aus Staub vom Erdboden und blies Lebensatem in seine Nase. So wurde der Mensch ein lebendiges Wesen. Und der HERR nahm den Menschen und setzte ihn in den Garten Eden, damit er ihn bebaute und bewahrte.“

In diesem Bericht wird spezifisch die Schöpfung des Menschen detailliert erläutert. Zunächst einmal wird ein haadam (mit bestimmten Artikel) aus der Erde אדמה ‚adamah (f. sg.) gebildet. Der Begriff könnte sich, um das Wortspiel wiederzugeben, als „Erdling“ übersetzen lassen. An dieser Stelle ist die Sprache von „dem Menschen“, da er durch seine Singularität nicht „männlich“ im Gegensatz zu weiblich sein kann. Auf sprachlicher Ebene bildet vielmehr die Erde sein Gegenstück.

Und der HERR sprach: Es ist nicht gut, dass der Mensch allein ist. Ich will ihm eine Hilfe machen, ihm gemäß. Da bildete der HERR aus dem Erdboden alle Tiere des Feldes und alle Vögel des Himmels und brachte sie zum Menschen. Für den Menschen aber fand er keine Hilfe, die ihm gemäß war. Da ließ der HERR einen Tiefschlaf auf den Menschen fallen, und dieser schlief ein. Und er nahm eine von seinen Rippen heraus und schloss die Stelle mit Fleisch. Und der HERR machte aus der Rippe, die er vom Menschen genommen hatte, eine Frau und führte sie dem Menschen zu. Da sprach der Mensch: Diese endlich ist Gebein von meinem Gebein und Fleisch von meinem Fleisch. Diese soll Frau (ישה ischah) heißen, denn vom Mann (איש ‚isch) ist sie genommen. Darum verlässt ein Mann seinen Vater und seine Mutter und hängt an seiner Frau, und sie werden ein Fleisch. Und die beiden, der Mensch und seine Frau, waren nackt, und sie schämten sich nicht voreinander.

Gott stellt einen mangelhaften Zustand in der Schöpfung fest. Um diesem entgegen zu wirken, schafft er einen zweiten Menschen, auf hebräisch עזר ‚Eser (f. sg.). Traditionell wird hier „Gehilfin“ übersetzt, was im deutschen Sprach-gebrauch eine ergänzende, untergeordnete und entbehrliche Hilfskraft meint. Im Kontext der hebräischen Bibel wird das Wort jedoch anders verwendet. Es bezeichnet fast vierzig Mal Gottes Eingreifen als die entscheidende Rettung in einer Notlage der Israeliten. Sie ist ihm dementsprechend als „Gehilfin“ nicht untergestellt. Ihr Status wird durch das Adjektiv כנגדו kenegdo („ihm gemäß“) näher beschrieben. Wörtlich bedeutet dieser Begriff „sich gegenüberstehend“, sodass beide Menschen nun metaphorisch auf einer Ebene sind. In der darauffolgenden Begegnung mit der Frau erkennt der erste Mensch nun deren Ursprung und ihre Zusammengehörigkeit an: Den Namen, der er ihr gibt, ist eine weibliche Form von Mann. Luther übersetzt an der Stelle von daher auch mit „Männin“ statt „Frau“, um das Hebräisch sinngemäß wiederzugeben.

In Bezug auf das Geschlechterverhältnis lässt sich feststellen, dass in dieser Erzählung Mann und Frau erst nacheinander geschaffen wurden. Daraus lässt sich allerdings keine Überlegenheit des Mannes ableiten. Im Gegenteil wird sein Alleinsein als Not empfunden, welche die Schaffung eines weiteren Menschen veranlasst und somit zur (rettenden) Entstehung der Geschlechterdualität führt. Das Vorhandensein von Geschlechterdifferenzen wird vordergründig, ohne dass jedoch spezifische Merkmale oder Funktionen mit normativem Charakter benannt werden. Durch die Benennung der zwei Menschen als ‚isch und ‚ischah wird deren Gemeinsamkeit und Zusammengehörigkeit besonders betont. Der letzte Vers hebt hervor, dass das Ziel der Geschlechtertrennung letztlich Wiedervereinigung und Einheit angesichts von Vielfalt ist. Das Verhältnis zueinander ist somit gleichwertig und sich gegenseitig ergänzend.

c. Der Sündenfall (Gen 2,15-17; Gen 3)

Nach der Schaffung des ersten Menschen wird berichtet, dass dieser die Anweisung erhält, die Erde zu bebauen und bewahren. Gleichzeitig wird ihm aufgetragen, nicht von einem spezifischen Baum im Garten Eden zu essen: Der Tod sei die Konsequenz für ein solches Handeln. Im nächsten Kapitel wird dieser Handlungsstrang wieder aufgegriffen. Die zuvor aus dem Mann geschaffene Frau stößt auf eine listige Schlange, die sie dazu verführt, das ihr überlieferte Verbot zu brechen. Bei dem sogenannten „Sündenfall“ isst zunächst die Frau von der verbotenen Frucht, daraufhin der Mann. Nun erkennen sie ihre Nacktheit und verstecken sich vor Gott, der sie jedoch aufsucht und verantwortlich macht. Gott richtet sich an dieser Stelle an den Mann als denjenigen, der ursprünglich das Gebot erhielt. Dieser beschuldigt jedoch seine Frau, die wiederum ihre Schuld durch die Täuschung der Schlange entkräftigen will. Daraufhin werden die drei Handlungsträger in umgekehrter Reihe mit den Konsequenzen für ihr Handeln und ihre mangelnde Einsicht konfrontiert.

Zunächst einmal wird die Schlange zu einer anhaltende Feinschaft zwischen ihrer und menschlicher Nachkommenschaft verflucht. Gleichzeitig wird verheißen, dass die „Samen der Frau“ letztlich zur Vernichtung der Schlange führen. Daraufhin richtet sich Gott direkt an die Frau, welche mühselig Kinder gebären soll. Ebenfalls wird sie nach ihrem Mann „verlangen“. Der hebräische Begriff für Gier oder Verlangen wird auch im Kontext von Sünde bei Kains Brudermord verwendet, der jedoch darüber herrschen soll (Gen 4,7). Daher handelt es sich hier im Kontext nicht etwa um sexuelles Verlangen, sondern um einen Machtkampf, der letztlich vom Mann gewonnen wird. Die Herrschaft des Mannes über die Frau ist dementsprechend erst als Konsequenz des Sündenfalls zu verstehen – nicht als Teil der ursprünglichen Schöpfungsordnung. Es handelt sich sprachlich um eine beschreibende (nicht normative) Aussage. Da diese Ordnung im Kontext der Sünde steht, von der Jesus Christus gekommen ist, uns zu befreien, kann auf dieser Grundlage keine patriarchale Gesellschaftsordnung rechtfertigt werden.

Zu Schluss der Erzählung wird erneut ein Gleichgewicht zwischen Mann und Frau geschaffen: Die erste Frau, die durch den Mann ins Leben gerufen wurde, übernimmt die Aufgabe des Lebengebens: Daher erhält sie neben „Frau“ als Bezeichnung noch einen Eigennamen, von dem die deutsche Eva kommt: חוּה („Chawah“, die Leben Gebende).

Denkanstoß

Gott hat den Menschen in Vielfalt geschaffen. Die Vielfalt der Geschlechte ist dafür nur ein Beispiel. Jeder von uns hat verschiedene Merkmale, Fähigkeiten und Gaben – davon hat alles seinen Nutzen.

Welche Eigenschaften haben andere, für die du sie bewunderst? Wie kannst du die Fähigkeiten anderer Menschen wertschätzen und sie in ihrer Entwicklung fördern? Wie kannst du im Kontext der christlichen Jugendarbeit Diversität fördern und Benachteiligung entgegenwirken?